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Die Füllerkappe verloren – Streit

■ Abends streiten Familien am meisten. Beim Eltern-Streß-Telefon kann man mal Dampf ablassen, ohne mit Ratschlägen erschlagen zu werden.

“Greif zum Telefon und nicht zum Kind!“ Das ist das Motto des Eltern-Stress-Telefons im Bremer Kinderschutzzentrum. „Abends, wenn alle nach Hause kommen, da ist das Faß immer kurz vorm Überlaufen“, weiß Sabine Biesterfeld, Vorstandsmitglied des Kinderschutzbundes aus eigener Erfahrung. Da ist der Streit nicht weit. Wenn das Kind seit Stunden über den Hausaufgaben sitzt und nicht weiterkommt, die Eltern immer ungeduldiger werden oder der Fünfjährige wieder in die Hosen macht, da platzt manch einem der Kragen. Da schreien die Eltern ihre Kinder an und schlagen auch schon mal zu. Ein offenes Ohr für diesen „alltäglichen Wahnsinn“ haben die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des Kinderschutzzentrums. Sie wollen Eltern und Kindern helfen, wenn es in der Familie zu Gewaltsituationen kommt: sei es körperliche, seelische oder sexuelle Gewalt.

„Ich weiß einfach nicht mehr weiter“ heißt es dann oft am Telefon. Gleich danach kommt die Frage. „Muß ich meinen Namen sagen? Das möchte ich eigentlich gar nicht.“ Anonymität ist sehr wichtig. Viele haben Angst, ihnen könnten die Kinder weggenommen werden oder es gäbe eine Anzeige. Manche geben aus dieser Angst heraus vor, für Freunde oder Nachbarn anzurufen.

Zu den AnruferInnen zählen Mütter, in deren Familie sich nach einem Streit alle heulend in ihre Zimmer verzogen haben oder Eltern, die verzweifelt sind, weil sie ihr Kind geschlagen haben. Kinder und Jugendliche rufen in den meisten Fällen an, weil sie sich nicht mehr nach Hause trauen – aus Angst vor Schlägen, weil die Mutter sie wieder so anschreit oder – in harmlosen Fällen – wegen einer verlorenen Füllerkappe. „Wir haben doch kein Geld.“ Für den Notfall ist immer eine der drei Hauptamtlichen zu erreichen. „Falls die Situation so eskaliert ist, daß man hinfahren muß. Das kann man den Ehrenamtlichen nicht zumuten“, sagt Brigitte Berauer, Sozialarbeiterin. Ist es nicht ganz so dringend, wird ein Termin für den nächsten Tag vereinbart.

Sabine Biesterfeld kann sich an den Anruf einer Frau erinnern, die kurz zuvor von ihrer 15jährigen Tochter geschlagen wurde. Da kommen dann auch die Familienverhältnisse zur Sprache. „Wir sind der Meinung, daß das nicht an einer Person liegt. Das ist ein Zusammenspiel“, sagt Brigitte Berauer. Da spielen viele Faktoren eine Rolle: Trennung, neuer Job, Trotzphase, Pubertät, oder es liegt jemand im Sterben. Auch beengte Wohnverhältnisse tragen oft dazu bei.

Am Eltern-Stress-Telefon sitzen aus gutem Grund nur Ehrenamtliche. „Die Eltern sollen nicht therapiert werden. Oft ist es für sie einfach wichtig zu wissen, daß sie nicht die einzigen sind“, sagt Brigitte Berauer. Da tut es schon gut, wenn einfach jemand sagt, „Das kenn' ich, das ist schwierig“. Mit „guten Ratschlägen“ halten sich die Mitarbeiterinnen des Eltern-Sreß-Telefons zurück. Brigitte Berauer sagt: „Die Eltern sind oft so vollgepfropft mit Ratschlägen, weil ihnen alle erzählen, wie sie mit ihren Kindern umzugehen haben. Da können sie oft gar nicht mehr gucken, welches Verhalten für sie gut ist und was zu ihrem Typ paßt. Am Telefon wollen die Eltern oft „einfach nur Dampf ablassen, mal 'ne andere Meinung hören, dann wird die Stimme wieder ruhiger, und viele haben dann neue Kraft getankt“, sagt Sabine Biesterfeld.

Nur in konkreten Situationen gibt es dann schon mal Ratschläge. Was ist, wenn das Kind nie ins Bett gehen will? Da kann man eine Art „Abendritual“ einführen. Das Kind bekommt eine Geschichte vorgelesen, kann danach nochmal auf Toilette gehen, doch dann soll es im Bett bleiben. Sofort schlafen muß es nicht. Wird die Mutter nur noch zweimal gerufen, spielt sie am nächsten Tag zur Belohnung eine halbe Stunde mit dem Sohn oder der Tochter. Wichtig ist es den MitarbeiterInnen auch, den Grund für das Verhalten des Kindes herauszufinden. Fangen die Eltern vielleicht immer an zu streiten, sobald das Kind im Bett ist?

In einigen Problemen bekommen die BremerInnen auch von anderer Ebene Unterstützung: Der Trägerverband, Deutscher Kinderschutzbund, greift Probleme wie beengte Wohnverhältnisse auch gesamtpolitisch auf. Das ist dringend notwendig, denn „oft werden die Belange der Kinder untergebuttert“, sagt Brigitte Berauer. So ist z.B. die vorgeschriebene qm-Zahl bei der gewerblichen Haltung von Hunden höher, als die für Kinderzimmer im sozialen Wohnungsbau.

Silvia Augustin

Sie können die MitarbeiterInnen des Eltern-Sreß-Telefons montags bis freitags von 17.00 – 20.00 Uhr unter der Telefonnummer 700037 erreichen.

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