■ Die EU-Delegation hielt sich zu Gesprächen in Ankara auf: Clintons Haltung ist konsequenter
Die Troika der EU, darunter Bundesaußenminister Kinkel, hatte es schwer in Ankara. Wie scharf soll man die Türkei wegen der Militäroffensive im Nordirak kritisieren? Haben die Europäer doch gerade erst die Aufnahme der Türkei in die europäische Zollunion unter Dach und Fach gebracht. Was tun, wenn der Partner Türkei plötzlich Zehntausende Soldaten in den kurdischen Nordirak schickt?
Der Außenminister eines Staates, in dem die PKK als „terroristische Organisation“ verboten ist, hat einen schweren Stand gegenüber den türkischen Politikern. Tatsache ist, daß die kurdische Guerilla PKK („Arbeiterpartei Kurdistans“) Lager im Nordirak unterhält. Tatsache ist, daß die türkische Militäroffensive gegen die PKK gerichtet ist. Die Regierung Çiller, die sich auch brav am internationalen Hilfsprogramm für die irakischen Kurden beteiligt, will schließlich nicht die kurdische Zivilbevölkerung im Nordirak massakrieren, auch wenn Zivilisten stets die Opfer der brutalen Logik eines Krieges sind. Was macht es für einen Sinn, den türkischen Einmarsch als „völkerrechtswidrig“ zu verurteilen, wenn es die Golfkriegs- Alliierten waren, die „völkerrechtswidrig“ den Nordirak zur Schutzzone für vom Diktator Saddam Hussein bedrohte Kurden erklärt haben?
Im Vergleich zur wankelmütigen europäischen Kritik am türkischen Einmarsch scheint die US-amerikanische Haltung konsequenter. Bill Clinton äußert „Verständnis“. Er weiß, worum es geht – nämlich um den Status des kurdischen Nordirak nach dem Ende des Golfkrieges. Das Gebiet wurde der Kontrolle Saddams Husseins entzogen, und man baute eine kurdische Selbstverwaltung auf, die allerdings durch den Bruderkampf der irakisch-kurdischen Führer Talabani und Barzani zerstört wurde. In diesem Niemandsland ließ sich auch die PKK nieder. Das ist für die türkische Regierung ein untragbarer Zustand: Das Ergebnis des Golfkrieges, in dessen Verlauf man die eigenen Luftwaffenstützpunkte den Alliierten zur Verfügung stellte, darf doch kein Niemandsland sein, von dem aus die PKK Anschläge plant! Was bleibt Clinton anderes übrig, als dem beizupflichten?
Kinkel hat es schwer. Hat man sich erst auf die Argumentation eingelassen, daß die PKK eine „terroristische Organisation“ ist, muß man ohne Wenn und Aber auch den Einmarsch der Türken im Nordirak gutheißen. Doch genau da liegt das Problem. Die PKK ist nicht vom Himmel gefallen. Sie repräsentiert die Renaissance des kurdischen Nationalismus, nachdem der türkische Staat jahrzehntelang die Kurden unterdrückte. Die PKK hat mittlerweile eine Basis unter den türkischen Kurden. Wie realitätsblind ist es da, auf einen Frieden in Kurdistan unter Ausschluß der PKK zu setzen. Ömer Erzeren, Istanbul
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