: Razzia gegen Rechte
■ Bei bundesweiten Hausdurchsuchungen Propaganda der NSDAP/AO sichergestellt / Anführer Gary Lauck in Haft
Berlin (taz/dpa) – Gestern durchsuchten einige hundert Polizisten bundesweit mehr als 80 Wohnungen nach Propagandamaterial der NSDAP/AO, die sich als konsequente Nachfolgerin der NSDAP begreift. Neben Neonazi- Schriften wurden auch Waffen und Munition gefunden. Bereits am Montag wurde Gary Lauck, der Kopf der NSDAP/AO in Kopenhagen verhaftet. Seit mehr als 20 Jahren versorgt der US-Bürger von seinem Quartier in Lincoln/ Nebraska aus die internationale rechte Szene mit Pamphleten und Kampfschriften.
Die Hamburger Staatsanwaltschaft beantragte inzwischen die Auslieferung von Lauck. Er soll wegen der Verbreitung verfassungsfeindlicher Propaganda, Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt werden.
Die gestrige Aktion richtete sich nach Recherchen des TV-Magazins Panorama gegen 58 junge Männer zwischen 16 und 20 Jahren. Knapp die Hälfte von ihnen soll Verbindungen zu anderen rechtsextremen und teilweise verbotenen Gruppen und Parteien unterhalten. Sie alle waren entweder Empfänger oder Besteller der Lauckschen Postille Kampfruf. Die Empfänger wurden bei Kontrollen der in Bremen eingehenden Schiffspost ermittelt. Auf die Namen der Besteller kamen die Behörden über eine der sieben Luftpostleitstellen, über die alle Luftpostbriefe von Deutschland nach Lincoln versandt werden.
Nahezu 14 Jahre hat es gedauert, an die Abnehmer der Schriften heranzukommen. Erst 1993 hatte sich die Bremer Post in der Lage gesehen, die eingehende Post aus Lincoln anhand äußerer Indizien wie Briefmarken, Phantasieabsender oder Klebestreifen herauszusortieren. Alarmiert hatte die Ermittler, daß sie bei mehr als einem Dutzend Personen, die rechter Gewalttaten verdächtigt wurden, NS- Symbole und Kampfschriften aus Lincoln gefunden hatten. Auch Michael Peters soll darunter gewesen sein, einer der Hauptangeklagten des Brandanschlags von Mölln.
Ingo Hasselbach, NSDAP/AO- Aussteiger, sagte gestern im Fernsehen, in „eigentlich jeder Stadt“ gebe es Gruppen, die „nur für die NSDAP/AO arbeiten“. Experten bestreiten die Existenz reiner NSDAP/AO-Zellen. Sie seien immer mit anderen Organisationen verknüpft. Den Zellen sollen mehrere hundert Personen angehören.
Gary Lauck publiziert seinen Kampfruf in mehreren Sprachen, etwa 2.000 Exemplare sollen in Deutschland ihre Abnehmer gefunden haben. Der zuständige Berliner Oberstaatsanwalt Carlo Weber bezeichnete den Inhalt der NSDAP/AO-Propaganda als „Nationalsozialismus und Menschenverachtung pur“. Die von der Hamburger Staatsanwaltschaft veranlaßte Razzia könne zum bisher spektakulärsten Schlag gegen den Rechtsextremismus werden, sagte Weber. Er gratuliere seinen Hamburger Kollegen.
Überraschend war die Aktion für die Szene offenbar nicht gekommen. „Gerade mal sechs Tage ist es her, daß wir die Razzia zuvor angekündigt haben“, tönte das rechte schleswig-holsteinische Nationale Infotelephon (NIT). Zu möglichen Kontakten zwischen Neonazis und Behörden schwiegen sich gestern die Staatsschützer beharrlich aus. Derweil warnt das NIT vor kommenden Aktionen. Im Bundesinnenministerium überlege man, demnächst gegen die Jungen Nationaldemokraten und die rechte Hilfsorganisation HNG vorzugehen. Annette Rogalla
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