: Kleine Schritte auf der Glücksleiter
■ Die Sinn- bzw. Unsinnsucher des Kabaretts: „Libretto Fatale“, heute in der Schauburg
Gerlinde ist den Tränen nahe. „Neulich“, schluchzt sie und strickt verzweifelt an ihrem Jutestrampler herum, „neulich habe ich den Nachbarjungen dabei erwischt, wie er mit unserem Dominik-Jasper Auto-Quartett spielen wollte!“ Da zucken ihre MitstreiterInnen zusammen; die antiautoritäre „Bürgerinitiative zur Verkehrsberuhigung der Bismarckstraße“ ist fassungslos. Und das Publikum kringelt sich unter lustvollen Schauern. Denn so oder ähnlich grausig haben offenbar nicht Wenige schon ihre eigenen BI-Erfahrungen durchlitten. Sowas eint. „Libretto Fatale“, Bremens wohl dienstälteste Kabarettgruppe, und ihr Publikum liegen ziemlich dicht beieinander, und zwar seit zwölfeinhalb Jahren – reichlich Stoff für schräge Nummern aus dem ganz normalen Wahnsinnsalltag der altlinken, altfriedensbewegten, altalternativen oder sonstwie tiefbewegten Szene. Mit „sieben Nummern, die die Welt verändern“, treten die acht Librettos (Libretti? Libretter?) jetzt wieder vor ihr Publikum.
Dem drängenden Zeitgeist folgend, geht es im neuen Programm nun „um die mehr oder weniger sinnvollen Sinnsuchgeschichten“, sagt Stefan Pulß, Mitbegründer der Truppe. Standen im ersten Programm – damals, als die vier Damen und Herren noch am Jurastudium herumdoktorten – die Nöte der eben erwachten Friedensbeweger im Brennpunkt des Libretto-Spotts, defilieren heute u.a. die Ex-Urintrinkerin, der verwirrte Hobby-Chaosforscher und die ewig Zerzausten der BI-Szene über die Bühne. Die inzwischen Nachwuchs bekommen haben, Dominik-Jasper eben, und damit auch ständig nachwachsende Sorgen – ein unerschöpflicher Quell der Freude für die Librettos.
Solche Nähe zum Publikum kann natürlich auch fatal sein. „Im Grunde haben wir immer wieder der Blick auf das Viertel“, räumt Pulß ein. Links und rechts der Szene aber streift der Blick auch immmer wieder die Welt da draußen. Alte und junge Toren, prominente Wirrköpfe und kleine Lichter versammeln sich im Programm und ergeben ein wunderbares Panorama wundersamer Zeitgenossen. So gewinnen die Librettos doch irgendwie Distanz zur Szene. „Wir wollen eher das Absurde dieser ganzen Welterklärungsversuche zeigen“, sagt Pulß, ohne dabei ins globalpolitische Kabarett zu flüchten.
Also blicken die Librettos, die all ihre Texte selbst ersinnen, lieber aufs Detail im teuflischen Alltag. „Wenn es gelingt, die eigene Unehrlichkeiten aufzuspüren und satirisch herumzudrehen“ – dann ist es was fürs neue Programm. Diese Distanz herzustellen, ist allerdings umso kniffliger, als es bei „Libretto Fatale“ keinen Regisseur gibt. Bzw. deren acht. Generalprobe in Pulßens Keller: Alle Librettos in Bewegung, flatternd, schnatternd, mal spielend, mal Anweisungen rufend. Gerlinde stachelt Uli an: Als Claus-Jäger-Imitator müsse er sich noch kräftiger in die Brust werfen, noch gockeliger herumstolzieren. Lichtmeister Uli II dirigiert das Ensemble durch eine kleine Revue-Nummer: „Kleine Schritte auf der Glücksleiter“ wackelt die Truppe einher; dann das große Finale: „Das Gewinnen von Wahlen ist schwer/ lalalala...äh...“ Uli II rauft sich den Schädel: „Daß sechs Leute gleichzeitig ihren Text vergessen können...“ Entschuldigend wedelt Stefan mit dem Textblatt: „Aber das haben wir doch gestern abend erst geschrieben...“
Das ständige Feilen an immer hübscheren, böseren Ideen – diese Leidenschaft wird den Librettos halt gelegentlich fast zum Verhängnis. „Unsere Premieren sind im Grunde Generalproben“ – und wirken dennoch professionell. Die Texte sind geschliffen, die Musik stil- und geschmacksicher ausgewählt. Die Welt der schönen Schlager, aus Librettos Jugendzeit, scheint hier nochmal auf: Bully Buhlan, Ralf Bendix und das Medium-Terzett sind hier noch ein Begriff. Professionalität hat die Truppe auch stets angestrebt, sagt Pulß. Nichts peinlicher als verquälte Kohlwitze und amateurhaftes Gehampel. Allerdings: Das Kabarett zum Beruf zu machen – das stand nie ernsthaft zur Diskussion. Kabarett bleibt für die amtierenden Richterinnen, Anwälte usw. nur der Nebenberuf. Dem sie mit zäher Liebe nachgehen, Schritt für Schritt auf der wackeligen Glücksleiter. Thomas Wolff
„Sieben Nummern, die die Welt verändern“, am heutigen Samstag um 23 Uhr in der Schauburg
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