: Die Prämie: Eine Gratis-Herzklappe
■ Betrugsverdacht gegen Ärzte erhärtet / Geschenke von Pharmaindustrie normal
Im Herzklappen-Skandal hat sich der Verdacht gegen Berliner Ärzte verstärkt. In der Charité sollen bei Abnahme bestimmter Mengen zusätzlich kostenlose Herzklappen als Prämien geliefert worden sein, die bei der Krankenkasse ganz normal abgerechnet wurden. Im Weddinger Herzzentrum sollen sich Herzklappenhersteller durch Zahlung von Forschungsgeldern für die Abnahme ihrer Produkte revanchiert haben.
Man werde den Vorwürfen nachgehen, versprach Ulfried Herrmann, Pressesprecher von Gesundheitssenator Peter Luther (CDU). Die bisherigen Berichte, die auf Ermittlungen von Staatsanwaltschaften zurückgehen, bezeichnete Herrmann als „sehr vage“. Bei Bekanntwerden des Herzklappen-Skandals im letzten Sommer habe man in Berlin „nichts Negatives entdeckt“. Daß Berliner Ärzte auch Vorteile in Form von Luxuspräsenten wie Videorecordern, Autos und Reisen für Familienangehörige erhalten hätten, sei ihm nicht bekannt, so Herrmann weiter. „Was in der Bauverwaltung ein öffentlicher Skandal wäre, ist bei den Medizinern völlig normal“, beurteilt Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/ Die Grünen, die Situation. So habe ihm die Gesundheitsverwaltung im letzten Jahr auf Nachfrage bestätigt, daß der Ehefrau eines Arztes die Reise zu einem Kongreß von einem Pharmakonzern mitfinanziert wurde. Konsequenzen wurden aus dem Vorfall nicht gezogen, erklärte Köppl. Da Forschungsmittel im medizinischen Bereich sehr knapp seien, hätte die Pharmaindustrie über die Vergabe von Forschungsgeldern ein leichtes Spiel. Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte ein Ostberliner Krankenhausarzt berichtet, daß die gesamte Fortbildung von Ärzten in der Hand der Pharmakonzerne liege. Die Finanzierung von Auslandskongressen inklusive Begleitprogramm sei an der Tagesordnung.
Der Berliner AOK-Vorsitzende Herwig Schirmer hält es für fast ausgeschlossen, daß sich Ärzte in Berlin in der Herzklappenaffäre persönlich bereichert haben. Er halte es jedoch für möglich, daß „im Bereich der Grauzone“ Gelder von Herzklappenproduzenten geflossen sind.
Der Ärztekammer-Präsident Ellis Huber erklärte, er habe auf sogenannte „Naturalrabatte“ (bei Abnahme einer Mindestmenge werden unentgeltlich zusätzliche Klappen geliefert) und Spenden für Forschungsvorhaben, Kongresse und Weiterbildungsmaßnahmen durch die Pharmakonzerne immer wieder hingewiesen. Von seiten der Krankenkassen habe es jedoch keinerlei Reaktion oder gar Kooperationsbereitschaft für Gegenmaßnahmen gegeben. Gesa Schulz
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