piwik no script img

Der unerfüllte Traum vom Regenbogenvolk

In Südafrikas Universitäten, Behörden und Arbeitervierteln knirscht es zwischen Schwarz und Weiß / Die weißen Verlierer der neuen Verhältnisse begehren auf / Viele verstehen nicht, was die Schwarzen jetzt noch wollen  ■ Von Willi Germund

Ruyterwacht liegt dort, wo Kapstadt häßlich wird. Die Konturen des Tafelbergs verschwimmen im Smognebel. Graue Industriehallen hinter stacheldrahtbewehrten Zäunen säumen die eine Seite der Ausfallstraße, die von der weltberühmten Hafenstadt nach Norden führt.

Auf der anderen Straßenseite steht Francis du Plessis, ein bulliger blonder Vollbartträger, im Vorgarten seines Einfamilienhäuschens und schaut einer seiner beiden Töchter beim Spielen zu. „Erst haben sie uns die Arbeit weggenommen“, brummelt der Mann böse, „jetzt drängen sie hier auch noch in die Schule.“ Im Februar sollten 3.000 schwarze Kinder aus den umliegenden Townships in die Ruyterwacht-Schule einziehen. Weiße Bewohner des Arbeiterviertels machten so lange Rabatz, bis das Vorhaben aufgeschoben wurde. Die vorherigen teils blutigen Auseinandersetzungen zwischen Schwarz und Weiß, Polizei und Bürgern waren ein erster böser Hinweis darauf, daß im „neuen Südafrika“ der Traum vom friedlich miteinanderlebenden „Regenbogenvolk“, den Präsident Nelson Mandela bei seinem Amtsantritt verkündet hatte, zunächst einmal ein Wunsch war und keine Realität – und womöglich auch nur eine unerfüllbare Illusion.

Auch andere Indizien deuten darauf hin: Aus Townshipschulen werden weiße Lehrer mit vorgehaltener Pistole vertrieben. Im Verwaltungsapparat der Regierung reichen weiße Beamte ihren Abschied ein. An den Universitäten des Landes kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen schwarzen und weißen Studenten.

„Viele weiße Studenten glauben, daß wir ein Regenbogenvolk haben. Sie verstehen nicht, was Schwarze jetzt noch wollen“, sagt der Soziologe Monty Roodt von der Universität in Grahamstown. „Aber viele schwarze Studenten sehen die Universitäten immer noch als koloniale Institutionen.“

Francis du Plessis in Ruyterwacht gehört schon jetzt zu den weißen Verlierern im „neuen Südafrika“. Zu Apartheidzeiten arbeitete er ein paar hundert Meter entfernt von seinem Haus bei der Firma „Print Press“ im Lager. 1993 verlor er seinen Job: Rezession, Wirtschaftskrise, Absatzprobleme lautete die Begründung der Firmenleitung. Jetzt geht es wieder ökonomisch aufwärts in Südafrika, aber der Aufschwung zieht an Ruyterwacht vorbei. Den Grund hat Francis du Plessis schnell ausgemacht: affirmative action – positive Diskriminierung. Francis du Plessis und seine Nachbarn sind weiße Arbeiter, im „neuen Südafrika“ aber werden vor allem die Schwarzen angestellt, die während der vergangenen Jahrzehnte keine Chance hatten.

Rund 250.000 der etwa fünf Millionen Weißen Südafrikas gelten mittlerweile als „arm“. Die politischen Veränderungen bedeuteten für sie den wirtschaftlichen Niedergang. Der Maschendraht vor dem Haus von du Plessis ist rostig und müßte eigentlich ausgewechselt werden. Selbst für frische Farbe am hölzernen Gartentor fehlt das Geld. Schief hängen die Latten am Scharnier, zusammengehalten, so scheint es, nur von der abblätternden und verwaschenen grünen Farbe. Sparen mußte du Plessis schon, als er noch Arbeit hatte: Die Dachpfannen enden exakt über der Hauswand, es reichte nicht eimal für einen kleinen Dachvorsprung. Bei dem Protest gegen die Schulöffnung hat du Plessis angeblich nicht mitgemacht. „Das bringt doch nichts“, sagt er niedergeschlagen und zerdrückt krachend eine leere Bierdose in seiner riesigen Hand.

„Leute der Mittelklasse und der Intelligenzia fühlen sich in der neuen politischen Umgebung relativ sicher“, sagt Soziologieprofessor Wilmot James vom liberalen Idasa-Institut in Kapstadt, „aber die Arbeiterklasse und die ärmeren Sektoren der Gesellschaft sehen sich in einer Falle.“ James beklagt den „Mangel an Vision“ für den Weg Südafrikas aus der Apartheid hinaus. Es überwiegt die Suche nach dem persönlichen Glück: Bei vielen Schwarzen steigt spürbar die Ungeduld, weil erhoffte Veränderungen sich nur langsam anbahnen.

Zugleich berichten Zeitungen gerne von einem angeblichen brain drain ausgebildeter Weißer ins Ausland. Bei der Steuerbehörde laufen die höheren Beamten in Scharen zum Privatsektor über. Der Grund: Unter der schwarzen Mehrheitsregierung sehen sie keine Karrierechancen mehr, weil schwarze Kollegen bevorzugt werden. „Wenn der Protokollchef auch noch geht“, moniert ein Diplomat über Südafrikas Außenministerium, in dem sich eine ähnliche Entwicklung anbahnt, „wissen die nicht mehr, was sie machen sollen.“ Selbst im regierenden African National Congress (ANC), offiziell einer nichtrassistischen Politik verschrieben, spielt die Hautfarbe eine große Rolle. Gill Marcus, die vor den ersten demokratischen Wahlen im letzten Jahr Sprecherin der Organisation war, durfte die Leitung der Partei-Informationsabteilung nach dem Urnengang aus Gründen des Hautfarbenproporzes nicht übernehmen; ein anderer Weißer, Raymond Suttner, leitet schon die Abteilung „Politische Erziehung“. Und in dem für das „Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm“ (RDP) zuständigen Staatsministerium des ehemaligen Gewerkschaftsführers Jai Naidoo ist einer von drei Posten für Ministerialdirigenten noch unbesetzt, weil aus Proporzgründen ein Schwarzer auf den Posten gehoben werden müßte.

In einem Land, in dem aus politischen Gründen „eine nichtrassistische Sprache“ gepflegt wird, so moniert der Soziologe James, fehle selbst das „Vokabular, mit dem diese Probleme behandelt werden können“. Aber es mangelt nicht nur am Wortschatz, sondern auch an Rezepten. Das zeigt sich vor allem an den Universitäten.

„Hier herrscht doch der blanke Rassismus“, sagt etwa ein schwarzer Student an der Universität von Bloemfontein, der Provinzhauptstadt des ehemaligen Oranjefreistaates. Die von Landwirtschaft geprägte Region gehört zu den konservativsten Südafrikas. Viele Weiße der Provinz kennen ihre schwarzen Landsleute dank der Wirtschaftsstruktur nur in einer Rolle: als Landarbeiter. „Wir wollen studieren, nicht dauernd von irgendwelchen Protesten behindert werden“, klagen denn auch viele weiße Studenten an der Universität. Die Konsequenz: Seit Tagen liefern sich schwarze und weiße Studenten Schlägereien auf dem Campus von Bleomfontein – zweitweise unterbrochen von bewaffneten, weißen Polizisten, die nicht gerade unparteiisch vorgehen. Weiße Studenten versuchen, schwarze Studentinnen nachts in ihren Wohnheimen zu drangsalieren, schwarze Kommilitonen ziehen zu Vergeltungsaktionen aus.

An der Witswaterand-Universität in Johannesburg ziehen sich ähnliche Auseinandersetzungen schon seit dem vergangenen Jahr hin – auch ANC-Veteran Walter Sisulu konnte die Gemüter nicht beruhigen. Staatspräsident Nelson Mandela riß inzwischen der Geduldsfaden. Es sei eine andere Form von Rassismus, so stutzte er Südafrikas Universitätsrektoren zurecht, wenn gegen gewaltätige Unruhestifter nicht vorgegangen würde, bloß weil sie schwarz seien.

Doch mit dieser Zurechtweisung löst er das Problem der Studenten nicht: Geldmangel, der die Fortsetzung des Studiums gefährdet. Von staatlicher Seite gibt es bisher nur unzureichende Programme zur Behebung solcher Schwierigkeiten. Der Soziologe Roodt: „Der ANC hat früher die gleichen Taktiken angewendet, die die schwarzen Studenten jetzt auch nutzen. Aber nun ist der ANC an der Regierung und weiß auch nicht so recht, was er tun soll.“

Die Konsequenzen daraus sind zuweilen kurios. Schüler in einigen Townships rund um Johannesburg befolgen mittlerweile die Aufforderung von Minister Jai Naidoo, Eigeninitiative statt Empfängermentalität zu entwickeln, auf ihre Weise: Mit vorgehaltener Pistole haben sie weiße Lehrer aus ihren Schulen vertrieben, weil sie lieber schwarze Lehrer hätten, von denen zur Zeit viele arbeitslos sind. Doch das Kalkül der bewaffneten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geht nicht auf: Die vertriebenen weißen Lehrer belegen weiter Stellen, für andere, schwarze Lehrer fehlt das Geld. Die Folge ist dieselbe wie die der Schülerproteste zu Zeiten der Apartheid: Der Unterricht fällt aus.

In Durban, der Hauptstadt der Provinz Natal, wurde ein anderer Weg eingeschlagen. Als Eltern aus dem Township Cato Ridge für ihre Kinder eine Schule suchten, verlangten sie mit „Massenaktionen“ für der Schulbehörde die Wiederöffnung einer geschlossenen Schule im Nobelviertel Carrington Heights – mit Erfolg. In der weißen Schule stellen die Slumkinder jetzt ein Viertel der Schüler – und die dortigen Weißen sind begeistert. „Wir hatten nicht ein einziges Mal ein Problem“, sagt eine Grundschullehrerin, „im Gegenteil: Die Kinder vertragen sich gut.“

Während in Carrington Heights vorwiegend betuchte Familien leben, ist Cato Ridge eine Siedlung der Armut und Spannungen. Schwarze Südafrikaner besetzten dort vor den Wahlen leerstehende Häuser, die eigentlich für Südafrikaner indischer Abstammung geplant waren. Eine Aktion, die in Durban dem ANC einen empfindlichen Verlust an Wählerstimmen einbrachte.

Die versuchte Schulvermischung war allerdings der Grund für den Tumult in Ruyterwacht in Kapstadt – wo die Weißen ärmer sind und weniger teilen können. „Ich kann nicht einmal mehr mein Haus verkaufen“, sinniert du Plessis in seinem Vorgarten. „Die Preise sinken, weil in der Umgebung so viele Schwarzenviertel entstanden sind.“

Im Johannesburger Viertel Rosebank steht an der Kreuzung der Bolton- und Jan-Smuts-Straße bereits ein weißer Leidensgefährte. „Seit November arbeitslos, muß Frau und drei Kinder ernähren“, hat der Mann in ungelenkem Englisch auf einen Pappdeckel geschrieben. Doch die überwiegend vollklimatisierten Autos rauschen links und rechts an ihm vorbei. Die erfolgreichste Art, Geld zu machen, wäre, bei roter Ampel mit ausgestreckter Hand von Wagen zu Wagen zu gehen. Schwarze Bettler haben das schon lange kapiert. Aber der blonde Bure mit der knallroten, sonnenverbrannten Nase hat das Betteln noch nicht gelernt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen