: Neue Angebote an Milošević
Die Kämpfe in Bosnien-Herzegowina weiten sich aus / Heute trifft sich die internationale Kontaktgruppe in London / Kroatien befürchtet einen bosnisch-serbischen Alleingang ■ Aus Genf Andreas Zumach
Die Kämpfe in Bosnien-Herzegowina weiten sich wieder zu einem umfassenden Krieg aus. Am Wochenende wurden aus mehreren Landesteilen schwere Gefechte gemeldet. Angesichts militärischer Erfolge der Regierungsarmee forderte der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić sofortige direkte Friedensverhandlungen und den Rückzug aller Truppen auf die Waffenstillstandslinien vom 23. Dezember. Zuvor hatte Karadžić dazu aufgerufen, die Muslime aus der Region Tuzla in Zentralbosnien zu vertreiben, zu besiegen und zu vernichten.
Vor dem Hintergrund dieser Eskalation trifft sich heute die internationale Bosnien-Kontaktgruppe in London. Dabei werden sich die Vertreter Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Rußlands und der USA voraussichtlich auf eine Aufweichung ihrer bisherigen Haltung gegenüber Serbiens Präsident Slobodan Milošević verständigen. Rußland und Frankreich sind in der letzten Woche bereits öffentlich von der bisherigen Forderung der Kontaktgruppe abgewichen, Milošević müsse vor einer Suspendierung oder gar endgültigen Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Restjugoslawien (Serbien/Montenegro) zunächst Bosnien und Kroatien gleichzeitig und ohne Einschränkung völkerrechtlich anerkennen.
Frankreich schlägt nun einen Stufenplan vor: Die Anerkennung zunächst von Bosnien und später von Kroatien soll jeweils mit Schritten zur Lockerung der Sanktionen beantwortet werden. Rußland plädiert dafür, bereits bei einer mit Vorbehalten ausgesprochenen Anerkennung der beiden Staaten alle Sanktionen aufzuheben. In Kraft treten soll die Anerkennung nach diesem Modell allerdings erst, nachdem sich die bosnischen Serben und die Regierung in Sarajevo über die Aufteilung des bosnischen Territoriums geeinigt haben. Außerdem soll sich die Regierung in Zagreb mit den Krajina-Serben in Kroatien vorher auf eine Autonomie-Regelung verständigt haben.
Großbritannien unterstützt den Stufenplan Frankreichs. US-Außenminister Warren Christopher erklärte letzte Woche, die USA seien „offen“ für diesen Vorschlag. Die deutsche Regierung hielt sich bis zur heutigen Sitzung der Kontaktgruppe bedeckt. Bosniens Botschafter in der Schweiz, Muhamed Filipović, hatte Bonn letzte Woche über seine Belgrader Gespräche mit Milošević unterrichtet, bei denen ebenfalls eine stufenweise Anerkennung diskutiert wurde.
Die kroatische Regierung in Zagreb hat jedoch große Bedenken gegen eine Verständigung, die zunächst nur zwischen Sarajevo und Belgrad erfolgt und möglicherweise international abgesegnet wäre. Eine solche Entkoppelung der Konflikte in Bosnien und Kroatien, so fürchtet Zagreb, könnte dazu führen, daß dadurch die muslimisch-kroatische Föderation in Bosnien zerbricht und die Anerkennung Kroatiens durch Serbien schließlich ausbleiben wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen