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Oyoyoy, mein Körper schreibt!

■ Bremer Buchlese (8): Ein Abend in der Lyrik-Werkstatt, wo die Amateurszene sich den Bauch freischreibt

Kaum jemand kann in Freundeskreisen auf so wenig Verständnis hoffen wie Poesie-Vernarrte. Aber Schreibwerkstätten? Bislang konnte Lehrer Werner, 45, wenig damit anfangen. „Das war meist total schnarchig. Hier bin ich, weil es im Programm verdammt interessant klang; irgendwie anders.“ Und tatsächlich: Mit einem Alte-Damen-Kreis, der sich gegenseitig erbauliche Verse vorträgt, hat die Bremer „Lyrik Werkstatt“ nicht viel gemein. Denn hier werden nicht nur Verse geschmiedet, hier sollen emotionale und körperliche Blockaden überwunden und neue Formen der Kommunikation entwickelt werden.

Am Anfang eines Abends steht die Dekonstruktion. Noch schwappt der Alltag in das Wohnzimmer von Ulrike Marie Hille, in dem sich knapp ein Dutzend Schreibwütige eingefunden haben und nun auf Socken ihre Gemütslage zu präzisieren versuchen, möglichst in einem Adjektiv, ganz aus dem Bauch heraus. „Schreibwütig“ fühlt sich Annette, andere sind „gelangweilt“, „genervt“. Werner geht es gar „beschissen“.

Seminarleiterin Ulrike schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen spielt die Emotionalität für sie beim Schreiben eine vordringliche Rolle. Spontan Antworten sollen die Hobby-Poeten auf das, was in ihnen steckt, nicht lange drüber nachdenken. Zum andern wird so das Prinzip der Verdichtung deutlich: Ein Wort soll allumfassend beschreiben.

Dann gilt es, denn Alltag vollends aus den Köpfen zu vertreiben. Mal röhrend, mal summend unterstützen Syntheziser-Klänge vom Band die meditative Entspannung. Das anfängliche Kichern verstummt, einige Meditations-Profis atmen bereits tief. „Sucht nach einer Silbe aus eurem kindlichen Bewußtsein,“ leitet Ulrike an. Und: „Laßt daraus eine kindlichen Gesang werden.“

Erst macht es leise „eiei“, „bebe...be“ oder „rörörö“, dann selbstbewußter, lauter. Nach und nach überwinden die Hobby-Schreibenden ihre Blockaden. Der Körper kommt hinzu. Das Wohnzimmer tobt, „zimms, zimms“ und „oyoy“ rufend rennt das Seminar durcheinander - die Dynamik im Inneren bricht nach außen.

Erst nach der emotionalen Selbstfindung kommt die Lyrik an sich ins Spiel. Kurt Schwitters– „An Anna Blume“ wird seziert. Jeder soll seine Lieblingszeile aus dem Liebesgedicht des Dadaisten heraustrennen, davon Besitz ergreifen, es laut deklamieren, bis aus dem durcheinander Gebrüllten Neues entsteht. Erste Fragmente, Ideen werden akribisch in China-Kladden notiert. Langsam entstehen aus den Wortfetzen tatsächlich Verse.

Klar ist: Keiner kommt, weil es daheim in stillen Kämmerlein an Publikum fehlt und man hier ungeschoren Fremde mit eigenen Versen malträtieren kann. Was viele der Schreibwütigen in der Werkstatt suchen, ist einfach eine helfende Hand. „In diesem Rahmen werde ich selbstbewußt genug, wirklich zu Schreiben,“ freut sich Lehrein Heike, 36. Außerdem gewähren ihr die zweiwöchigen Treffen Kontinuität: „Das bringt mich dazu, weiterzumachen, wo ich sonst aufhören würde.“

Die Resultate des lyrischen Werkens sind unterschiedlich. Utes unterhaltsames „klaus zuhaus'“ („klaus saum raucht - klaus schaut kaum - rauch faucht - Oh graus“) kann eine gewisse Verwandtschaft mit Jandl's „ottos mops“ nicht leugnen aber immerhin: ein richtig witziges, kleines Gedicht.

Anderen will nicht gelingen, aber bei jedem versucht Ulrike, das Geschriebene mit der Gemütlsage in Beziehung zu setzen. Die Lyrik-Werkstatt macht auch ohne Verse Sinn, selbst Werner ist weniger grimmig und hat die ironische Distanz zum eigenen Siechtum wiedergefunden. „Das gibt es nicht, wie traurig mein Gedicht ist, wie mich das runterzieht,“ lacht er.

Und auch bei Monika, die den Abend mit der Vokabel „genervt“ begann, hat das Dichten aber auch über die reine Lyrik hinaus gewirkt. „Ich könnte ein neues Wort gebrauchen. Ich bin total genervt hergekommen, jetzt fließt es in mir wieder. Am Anfang war mir scheißegal, ob das Geschreibe Sinn macht, und auf einmal machte es Sinn. Mit dieser Energie gehe ich heute nach Hause.“ Lars Reppesgaard

Die Lyrik Werkstatt ist eine Kooperation von Literatur-Kontor und Volkshochschule. Infos bei Ulrike Marie Hille, Tel. 72936.

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