: Tietmeyer wird schwach
■ Bundesbank hat die Leitzinsen gesenkt, der Dollarkurs ist gestiegen
Frankfurt/Main (dpa/AP) – Er werde seinen Kurs „unbeirrt fortsetzen“, sagte gestern Hans Tietmeyer. Aber der Chef der deutschen Bundesbank tut manchmal nicht genau das, was er sagt. Völlig überraschend hat der Zenralbankrat gestern den Diskontsatz von 4,5 auf 4,0 Prozent und den Zins für Wertpapierpensionsgeschäfte von 4,85 auf 4,5 Prozent gesenkt. Lediglich der Lombardsatz blieb mit 6,0 Prozent unverändert.
Kein Trippelschritt, sondern ein deutliches Signal, daß die deutschen Währungshüter den exportschädigend hohen Wert der Mark nicht mehr tatenlos hinnehmen wollen. Am Morgen war der US- Dollar wieder auf einen Kurs von 1,3770 Mark gefallen, eine Reaktion darauf, daß die amerikanische Zentralbank (Fed) ihre Leitzinsen nicht, wie erwartet, erhöht hat.
Der neue deutsche Leitzins ist der niedrigste seit mehr als sechs Jahren. Der Frankfurter Dollarkurs reagierte prompt. Er stieg beim Fixing um zweieinhalb Pfennig auf 1,40 Mark. Ob Tietmeyers Schritt ausreicht, die Kapitalflucht in die Mark dauerhaft zu bremsen, ist trotzdem eher zweifelhaft. „Ein Währungsziel“ sei mit dem Zinsschnitt nicht verbunden, formuliert Tietmeyer denn auch vorsichtig für den Fall, daß die Devisenhändler den deutschen Stützungsversuch erst recht als Schwäche des Dollar auslegen. Wohl aber solle das billigere Geld „der veränderten außenwirtschaftlichen Bedingungen für die binnenwirtschaftliche Entwicklung angemessen Rechnung“ tragen, heißt es in der Erklärung des Zentralbankrates. Ein wenig mulmig ist Tietmeyer bei dieser Exporthilfe wohl doch. Eine „stabilitätspolitische Entwarnung“, sei nicht angebracht, raunt der Erklärungstext mit einem Hinweis auf „die jüngsten Lohnvereinbarungen und die daraus resultierenden Preisrisiken“.
Die Orakelsprüche aus Frankfurt platzen mitten in die Haushaltsdebatte des Bundestages. Kanzler Kohl sah seine Regierung sofort auf dem richtigen Weg zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) glaubt seltsamerweise, die niedrigeren Leitzinsen seien möglich geworden, weil sein Ministerium „Fortschritte bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen“ erzielt habe. Wäre es nach den Sozioaldemokraten gegangen, hätte der Zentralbankrat schon bei der letzten Dollarflaute reagiert. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hingegen scheint über das Geschenk nicht recht glücklich. Er fürchtet, daß es den Gewerkschaften mit ihren Lohnforderungen zugute kommen könnte und mahnt deshalb „zur Vorsicht bei der Lockerung der geldpolitischen Zügel“. Der Deutsche Industrie- und Handelstag sieht in der ganzen Aktion keinen Sinn. Die D-Mark werde nicht entlastet, die Ursachen für ihre Aufwertung lägen hauptsächlich im Ausland. Richtig sauer ist vor allem die Gemeinschaft zum Schutz der Deutschen Sparer. Sie schimpft, daß die Zinssenkung nur ein Zugeständnis gegenüber internationalem Druck sei.
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