Wie am Fließband?

■ DRK-Präsident Schlegelberger nahm möglicherweise an mehr Hinrichtungen teil, als er bisher zugegeben hat

Die Vorwürfe gegen den Berliner Rotkreuzpräsidenten Hartwig Schlegelberger reißen nicht ab. Statt an zwei Hinrichtungen, wie der heute 81jährige selbst zugegeben hat, soll er an mindestens 13 weiteren beteiligt gewesen sein. Im ehemaligen Zuchthaus Brandenburg-Görden beurkundete der damalige Marineoberstabsrichter Schlegelberger am 19. 6. 1944 den Tod des Matrosen Horst Henze. Am gleichen Tag wurden dort weitere 14 Menschen exekutiert.

„Mir ist noch nicht bekannt geworden, daß in einem Hinrichtungsgang die notarielle Aufsicht gewechselt hat“, sagt Joachim Görlitz, Historiker in der heutigen Gedenkstätte des ehemaligen Zuchthauses. Daher sei es „sehr wahrscheinlich“, daß Schlegelberger auch in den anderen Fällen die Hinrichtungen beurkundet habe. „Eine Hinrichtung dauerte nicht länger als zwei Minuten. Wenn auf der Rückseite des Gebäudes der Sarg weggetragen wurde, stand der nächste schon vor der Hinrichtungsstätte“, erklärt Görlitz. „Wie am Fließband“ seien die Hinrichtungen durchgeführt worden. Nach Görlitz' Erkenntnissen war immer nur ein Beamter pro Tag in Brandenburg-Görden, um die Todesscheine zu unterschreiben. Im Zuchthaus Brandenburg-Görden wurden während des Zweiten Weltkrieges 1.722 Menschen aus politischen Gründen hingerichtet, darunter auch einige der Hitler- Attentäter vom 20. Juli 1944.

In einem Mitte dieser Woche im DRK-Bulletin erschienenen „persönlichen Brief“ fordert Schlegelberger ausgetretene DRK-Mitglieder auf, „ihren Schritt zu überdenken“. Nach Presseveröffentlichungen über seine Tätigkeit als Richter und Ankläger am Kriegsgericht in Berlin war es in den letzten Wochen zu einer Austrittswelle aus dem Roten Kreuz gekommen. In dem Brief gesteht Schlegelberger ein, daß ihn seine Tätigkeit als Marinestabsrichter sein ganzes Leben belastet habe. Nach Kriegsende habe er sich mit all seinen Kräften gegen Krieg und Gewalt eingesetzt. Erneut weist der ehemalige Innenminister Schleswig-Holsteins und Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes in dem Schriftstück darauf hin, daß ihm „kein strafrechtlicher Vorwurf“ zu machen sei. Zwei Überprüfungen der Staatsanwaltschaft Kiel – die erste 1963, die zweite 1989 – mündeten nicht in einer Anklage. Die erste Untersuchung leitete Oberstaatsanwalt Ernst Thamm, der während des Zweiten Weltkriegs selbst mehrfach die Todesstrafe am Sondergericht in Kiel beantragt hatte. 1989 leitete die Untersuchungen ein langjähriger Mitarbeiter aus Thamms Abteilung. Christoph Dowe