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Mit Amboßschlägen durchgearbeitet

Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg hat sich Johann Kresnik den Mythos „Gründgens“ vorgenommen  ■ Von Till Briegleb

Weit mehr als bei den vorherigen Subjekten von Johann Kresniks Trilogie über Deutsche Männer – Nietzsche und Jünger – mußte sich die Qualität seiner Beschäftigung mit Gustaf Gründgens auf den Zahn fühlen lassen – wer oder was sollte hier denunziert werden? Denn im Gegensatz zu den Genannten vermischte sich bei dem berühmten Theatermann das Verhältnis von Täter und Opfer in einem Maß, das dazu geführt hat, daß dem Mythos Gründgens meist nur ein Antimythos entgegengebracht wurde. Abwägende Stimmen, wie etwa die Bernhard Minettis, waren in dem Streit der Chöre „Künstler“ vs. „Kollaborateur“ immer eher die Ausnahme. Und auch Bruder Kresniks Moralpredigten sind ja gemeinhin nicht dafür bekannt, die Zwischentöne zugunsten der Amboßschläge zu begünstigen.

Als dann durch die Flut der Vorberichte zur Uraufführung des Projektes am Sonnabend im Hamburger Schauspielhaus, Gründgens' letzter Wirkungsstätte, dem ehemaligen Liebhaber, Adoptivsohn und Erben von Gründgens, Peter Gorski, in Spanien zu Ohren kam, daß Kresnik nicht nur das politische Verhalten von Görings preußischem Generalintendanten choreographieren wollte, sondern daß dessen psychische Disposition – inklusive seines hilflos vertuschten Schwulseins, seiner Morphiumsucht, seiner Angstzustände und Depressionen – zentrales Thema des Abends werden sollte, versuchte dieser noch am Freitag, das Stück mit einer einstweiligen Verfügung zu stoppen.

Zwar gelang ihm hier nicht, was ihm 1965 mit dem Publikationsverbot für Klaus Manns Gründgens- Roman „Mephisto“ glückte, aber hätte er das Stück gesehen, sein restriktives Kunstverständnis hätte sicherlich wütend kollabiert. Denn natürlich läßt Kresnik keine Grobheit, kein drastisches Bild aus, um den krampfartigen Muskel hinter der perfekten Maske des berühmten Verführers zu zeigen. Da wird auf Gründgens gepißt oder an seinem Glied gesaugt, dieser speit erstickend Protoplasma und verkehrt anal mit Adolf Hitler. Und was vielleicht das Schlimmste für Peter Gorski gewesen sein dürfte: In „Gründgens“ gibt es immer zwei (nicht Seelen, ach, in meiner Brust, sondern Gustafs). Roland Renner und Bernhard Schütz verbildlichen Gründgens' Gespaltenheit in allen vertikalen und horizontalen Ebenen. So bewirft der schwule Mensch den „perfekten“ Schauspieler mit Ostereiern, der Ästhet, der so abfällig über Nacktheit sprach, trägt schwer am gierigen Lust-Selbst, und der eitle Maestro ohne Reue trifft auf sein blutiges Gewissen.

Dennoch: Von Denunziation findet sich hier keine Spur. Zwar verwenden Kresnik und sein Textautor Werner Fritsch die klarste Sprache immer dann, wenn es um Vorwürfe moralischer Art geht – etwa wenn das kommunistische Ensemblemitglied Hans Otto, der an Folterungen durch die Gestapo starb, GG zu seiner Mitschuld verhört –, aber das zentrale Thema dieses Abends ist nicht Ethik, sondern Angst. In einer erdrückenden Beton- und Kupferarena von Penelope Wehrli inszeniert Kresnik in 28 bildlich überbordenden Szenen Gründgens' Lebensstationen von 1917 bis 1963 sowie Träume und Alpträume als symbolische Gladiatorenkämpfe. Falscher Glanz und reale Demütigungen, Machtgehabe und panische Verzweiflung sind Pfosten in diesem Ring, in dem nicht nur Gründgens gegen Gründgens antritt.

Klaus Mann besiegt den Entnazifizierten mit Herablassung und der Aufforderung, gemeinsam Selbstmord zu begehen, um die deutsche Kultur reinzuwaschen, Göring bleibt als Strippenzieher ein Fernkämpfer von der sicheren Balustrade aus, Marianne Hoppe, Gründgens' Anstandsgattin bis 1946, verliert den Kampf gegen Gründgens' Liebestäuschung, und nur Elisabeth Flickenschildt gelingt die kurzzeitige Komplizenschaft, weil sie wie Gründgens dem eigenen Geschlecht huldigt. Doch auch diese Beziehung verwandelt sich in ein Duell. „Flicki“, plaziert in einem Ölfaß (ein Running Joke, der die Anekdote referiert, daß Gründgens Becketts „Endspiel“ nicht spielen wollte, weil man dafür Eltern in die Tonne stecken müßte), kann Gründgens' Suche nach Leben in der inneren Leere keine Anhaltspunkte liefern und verliert sein Interesse.

Die Flut von Bildern, Symbolen, bizarr-atmosphärischer Musik (von Serge Weber), rätselhaften Assoziationen und sinnlichen Großszenen mit bis zu 24 Personen sowie Hunden, Kaninchen und russischem Bär gleichzeitig auf der Bühne setzt Kresnik hier allerdings so ein, daß ein eindeutiger Kommentar zur Person völlig ausgeschlossen ist. Zitat- und Redefetzen von Goethe, Schiller und GG, vorgetragen auf Leichenbergen oder vom „Heißen Stuhl“, einem Folterinstrument, das über dem Geschehen thront, werden zwar durch den bildlichen Kontrast in ihrer entsetzlichen Relativität dargestellt, deren absolute Gültigkeit Gründgens ja immer die Rechtfertigung lieferte, im Dritten Reich weiter Theater zu machen. Denn die Klassiker könne man nicht entarten.

Aber dennoch sind auch die schärfsten Plädoyers gegen Unfreiheit und Falschheit nur Teil eines Mosaiks, das weniger verurteilt als veröffentlicht, weniger interpretiert als exemplifiziert, weniger zementiert als sammelt. Perfekt rhythmisiert und verschwenderisch bebildert, wird hier nicht ein Januskopf vom Theater-Marat Kresnik zum Schafott geführt, sondern die versteckten Taschen einer typischen deutschen Biographie werden geleert. Was dabei auf die Bühne fällt, frei zur kritischen Montage, ist übrigens entgegen anderslautenden Berichten auch ohne die Lektüre einer Gründgens-Biographie zu verstehen. Auch wenn es nicht zu leugnen ist, daß es hilft.

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