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„Trau keiner Regierung“

■ Türkischer Schriftsteller Nesin: Deutsche Haltung „beschämend“ / Türkischer Außenminister: Deutsche Haltung „absurd“ / Deutscher Außenminister: Türkei achtet Menschenrechte „ganz offensichtlich“

Bonn (taz) – 80 Lebensjahre haben Aziz Nesin weise gemacht: „Ich traue keiner Regierung. Ich traue auch nicht der deutschen Regierung“, erklärt der türkische Schriftsteller im taz-Interview. Die Forderung der Bundesregierung an die türkischen Militärs, beim Krieg gegen die Kurden deutsches Kriegsgerät in den Kasernen zu lassen, sei „beschämend“. „Gegen wen sollen denn die deutschen Panzer eingesetzt werden? Wozu sind denn Panzer da? Sollen wir sie gegen Griechenland einsetzen? Wichtig ist, daß überhaupt keine Waffen geliefert werden.“

So klug muß Bundesaußenminister Klaus Kinkel erst noch werden. Gestern erklärte ihm sein türkischer Amtskollege Erdal Inönü in Bonn, die Unterscheidung zwischen deutschen und anderen Waffen sei „eine absurde Frage“. Zwar habe die Türkei sich an die Nato-Verabredungen gehalten, jedoch seien das Forderungen, „die wir schwer einhalten können. Man muß sein Leben schützen mit dem, was man hat.“ Kinkel ging auf die Äußerungen nicht ein. Zuvor hatte er noch erklärt, Inönü habe ihm versichert, daß im Nordirak keine deutschen Waffen im Einsatz seien.

Auf die zaghafte Vorhaltung Kinkels, der Einmarsch sei unverhältnismäßig, reagierte Inönü mit einem scharfen Gegenangriff: Er hielt der Bundesrepublik vor, sie schütze ihrerseits die türkischen Bürger auf deutschem Boden nicht ausreichend. Indirekt warf Inönü den Deutschen sogar eine beleidigende Haltung gegen den Nato-Partner Türkei vor und drohte mit Belastungen des deutsch-türkischen Verhältnisses: „Wenn eine Seite das Gefühl der Beleidigung hat, braucht man viele Jahre, um das rückgängig zu machen.“

Inönü vermied jeden konkreten Hinweis darauf, wann die Türkei die angeblich begrenzte Operation in der kurdischen UN-Schutzzone im Irak beenden wolle: „Das Ziel ist fest definiert, die Zeit ist fest definiert. Bald werden alle sehen, daß stimmt, was ich da sage.“ Die Errichtung einer dauerhaften Pufferzone sei nicht Ziel der türkischen Regierung und Armee. Es gebe Probleme mit der Demokratie in der Türkei, aber nirgendwo gebe es eine perfekte Demokratie. „Was man als kurdisches Problem bezeichnet, wird sich ändern mit den demokratischen Fortschritten.“

Inönü, der erst seit gut einer Woche als Außenminister amtiert, will auf seiner Reise die Regierungen in Bonn, Paris und Washington vom Friedenswillen seiner Regierung überzeugen. Bonn hatte er als erste Station gewählt. Die Visite war gleichzeitig sein erster offizieller Auslandsbesuch im neuen Amt.

Der deutsche Außenminister verpackte seine Kritik an der Türkei in eine Vielzahl von Freundschaftsbekundungen: Die Türkei, so Kinkel, gehöre zu Europa. Deutschland habe jahrzehntealte freundschaftliche und partnerschaftliche Beziehungen zu dem Land. Die türkische Regierung und die Streitkräfte bemühten sich „ganz offensichtlich“ darum, die Menschenrechte im Irak zu achten.

Unterdessen mehren sich Berichte über Attacken türkischer Soldaten auf kurdische Zivilisten. Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) sieht sich deshalb genötigt, türkische Kurden, die in den letzten Jahren in den Nordirak geflohen waren, zu retten. Laut UNHCR wurden gestern 2.500 türkische Kurden aus dem Kampfgebiet evakuiert. Die Flüchtlinge seien aus dem Grenzgebiet in das südlich gelegene Flüchtlingscamp von Atrusch gebracht worden, erklärte ein UNHCR-Sprecher. Weitere 900 Personen hätten den rettenden Ort auf eigene Faust erreicht. Andrea Dernbach

Tagesthema Seite 3

Interview mit Aziz Nesin Seite 10

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