: „Lahti hielt mich für verrückt“
Mit Hilfe des Finnen Jari Litmanen (24) will Ajax Amsterdam heute im Champions- League-Halbfinale das Münchner Olympiastadion stürmen ■ Von Thomas Roser
Amsterdam (taz) – In seiner finnischen Heimat tragen sie ihn tatsächlich auf Händen. Obwohl der kleine Mann aus Lahti weder zur Zunft der Skispringer, Langläufer noch Eishockeyspieler zählt, wurde Jari Litmanen als erster Fußballer der Geschichte vergangenes Jahr zu Finnlands Sportler des Jahres gewählt. Neulich hat die finnische Post eine Briefmarke mit seinem Konterfei herausgegeben, Sponsor adidas will seine Landsleute eigens mit „Jari Litmanen“- Tretern beglücken: Der 24jährige Profifußballer in Diensten des niederländischen Meisters Ajax Amsterdam ist im Land der tausend Seen das Sportidol schlechthin.
Am Sonntag hat er mit zwei Treffern in Heerenveen ein 3:3 gerettet, wodurch Ajax seinen Vorsprung auf fünf Punkte vor Roda Kerkrade vergrößert hat. Mehr noch: Der niederländische Meister blieb im 27. Punktspiel hintereinander ungeschlagen, womit der Rekord aus der Saison 71/72 überboten ist. Es waren Litmanens Saisontore 13 und 14, die Ajax heute (20.30 Uhr) mit dem Optimismus des Ungeschlagenen an das Champions-League-Halbfinale bei den Münchener Bayern herangehen lassen.
Der eher zierliche Mann entspricht übrigens gar nicht dem Klischee eines finnischen Sportlerhünen. Statt einer blonden Mähne ziert pechschwarzes Haar das bleiche Haupt. Ungewöhnlich ist eigentlich auch, daß er statt mit dem Pucks mit dem Ball spielt. „In Lahti hielten sie mich früher immer für etwas verrückt, wenn ich stundenlang allein auf dem Fußballplatz trainierte“, erzählt der stets etwas schüchtern wirkende Litmanen: „Sie konnten das einfach nicht verstehen.“
Doch die einsamen Trainingsstunden des unverstandenen Fußballiebhabers haben sich ausgezahlt. Obwohl finnische Balltreter gemeinhin keine allzu hohe Wertschätzung genießen, hat Litmanen bei Ajax den internationalen Durchbruch geschafft. Vergangenes Jahr wurde er mit 26 Treffern Torschützenkönig der niederländischen Ehrendivision. Seine Treffer in der Champions League gegen den AC Mailand machten ihn in ganz Europa bekannt. Bei der WM in den USA konnte er seine Fertigkeiten zwar nicht unter Beweis stellen, da Finnland – wie gewohnt – bereits in der Qualifikation gescheitert war. Dennoch setzten ihn die Journalisten bei der Wahl zu Europas Fußballer des Jahres auf einen beachtlichen achten Platz: Spieler seines niederländischen Gastlandes tauchten in der Wertung hingegen nicht auf.
Wie Sauerbier hatte sein Manager das größte Talent des finnischen Fußballs im Frühjahr 1992 der europäischen Fußballcreme angeboten. Mehrwöchige Probetrainings bei Leeds United, Barcelona, Xamax NeuchÛtel, Malmö FF, PSV Eindhoven, Gent und Roda Kerkrade verhalfen dem emigrationswilligen Vollblutfußballer zwar zu internationaler Erfahrung, nicht aber zu einem Vertrag. Ajax-Coach Louis van Gaal benötigte hingegen lediglich drei Tage, um das Talent des Jari Litmanen zu erkennen: Im August 1992 unterschrieb er in Amsterdam den ersehnten Profikontrakt.
Die erste Saison bei Ajax hatte der Sohn des früheren Nationalspielers Olavi Litmanen noch mit Eingewöhnungsschwierigkeiten zu kämpfen. „Ich verstand die Sprache nicht, war allein hier, und der Fußball in den Niederlanden war ganz anders“, erklärt er rückblickend seine Startprobleme. Als Ajax-Protagonist Dennis Bergkamp im Sommer 1993 zu Inter Mailand wechselte, durfte Litmanen richtig ran: Als hängende Spitze hat er mit seiner Torgefährlichkeit und Spielübersicht Bergkamp längst vergessen lassen.
Auf dem Feld erinnert der kleine Mann mit der Nummer 10 ein wenig an den Dänen Allan Simonsen. Ungewöhnlich ballsicher stellt sich der torgefährliche Spielmacher stets in den Dienst der Mannschaft, bei deren kombinationssicherem Angriffsfußball die Fähigkeiten des Finnen voll zur Geltung kommen.
Zwei finnische Zeitungen haben in Amsterdam inzwischen eigene Korrespondenten installiert, um die Heimat stets über das Wohl des populären Landessohnes auf dem laufenden zu halten. Das anhaltende Interesse an seiner Person hat dem ruhebedürftigen Litmanen die Freude an den spärlichen Heimfahrten jedoch ein wenig vergällt: „Jeder will dort ein Autogramm von mir oder mit mir sprechen. Eigentlich habe ich dort keinen Moment Ruhe.“
Doch auch in Amsterdam ist nicht ruhig leben: Körbeweise bringt ihm der Postbote Fanpost aus Finnland ins Haus. Und mindestens einmal im Monat landet eine Sondermaschine der staatlichen „Finnair“ in Amsterdam, um neugierigen Finnen den Live-Blick auf den Landesgenossen in der Fremde zu ermöglichen. Dem Medieninteresse an seiner Person kann der leidgeprüfte Litmanen allerdings auch gute Seiten abgewinnen: „Vielleicht“, sagt er, „weckt mein Erfolg künftig bei mehr finnischen Jugendlichen das Interesse am Fußball.“
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