: Eppelmann ist Jesus
Soll eine Provokation sein: Die Ausstellung „Raritäten, Kitsch und Kurioses aus der DDR“ will aufrütteln / Vernissage der ganz besonderen Art ■ Von Barbara Bollwahn
DDR-Nostalgie ist out, Provokation ist in. Man hänge ein Stalinbild neben ein Honeckerkonterfei – fertig ist die Provokation. Das meint zumindest Renaldo Tolksdörfer, einer der Organisatoren der Ausstellung „Keine Zeit zum Abschied“, die am Donnerstag abend eröffnet wurde. Fast vergessene Waschmittel-Marken und Urkunden für hervorragende Leistungen, die ob des Ausgangs des ersten Arbeiter- und Bauernstaates nicht immer ganz zu Recht verliehen wurden, sollen nicht einfach nur Vehikel für eine Reise in die DDR-Vergangenheit sein.
Im Interesse einer umfassenden Geschichtsbewältigung darf die Auseinandersetzung auch vor der Intimsphäre keinen Halt machen. Auf einem Exponat ist die Transformation vom Tampon-Ost zum Tampon-West sehr schön auf rotem Grund dargestellt. Aus der unansehnlichen, in Gaze gehüllten Bückware-Ost wurde ein aalglatter Menstruationshemmer-West. Eine wirklich gelungene Provokation, bei der den Frauen hoffentlich nur die Spucke und nicht die Tage wegbleiben.
Fast schon subversiv waren die vorgetragenen Recherchen des DDR-Liedermachers Reinhold Andert: Pfarrer Reiner Eppelmann ist eigentlich Jesus. Beide stammen von einem Zimmermann ab, ihre ersten dreißig Lebensjahre liegen im dunkeln. Applaus und Gelächter. Bevor Andert in Versuchung gerät, zu erzählen „wie es wirklich war“ damals, singt er schnell ein Lied mit dem Titel „Das Leben ist schön“. Das aus dem Russischen übersetzte Lied war es auch. Wirklich. Andert philosophierte in dem Fabrikgebäude in der Kadiner Straße in Friedrichshain auch über die Ursachen des Untergangs der DDR. Hier eine kurze Zusammenfassung: Das Wort Sozialismus kommt aus dem Lateinischen, wegen fehlender Lateinkenntnisse mit Sozius übersetzt. Also Sozialismus gleich eine Gemeinschaft von Beifahrern, angeführt von Fahrern ohne Führerschein. Richtig aber heiße Sozius Bundesgenosse. Und da liege der Hase im Pfeffer. Denn der Bund war im Westen und der Genosse im Osten. Als Zugabe gab er noch ein öffentliches Versprechen ab: „Wenn die PDS verboten wird, trete ich sofort ein.“
Der Auftritt von Wolfgang Kolditz riß die etwa einhundert Gäste weniger vom Hocker. Seit 1954 sammelt der ehemalige Sporttrainer Witze. Witze über Arbeitslose, die es auch schon zu DDR-Zeiten gab, erzählt der jetzt selbst Arbeitslose seit der Wende nicht mehr. Aber wir: Kommt ein Mann freudestrahlend nach Hause und sagt zu seiner Frau: Ich habe eine neue Stellung! Sie: Du dumme Sau, du sollst dich um Arbeit kümmern! – Daß Joachim Gauck alias IM Kanzel ihn erst neulich um die Herausgabe seiner Akte angefleht habe, hat dem Herrn über 12.612 Witze keiner so richtig geglaubt. War ja auch nur ein Witz.
Die in der Ausstellung gezeigten Exponate waren bis 1993 als Teile einer Privatsammlung im ehemaligen Haus der Jugend Unter den Linden zu sehen. Seitdem das ZDF dort sein Hauptstadtstudio einrichtet, ist Tolksdörfer auf der Suche nach neuen Räumen. Wer sich von den „Provokationen“ provozieren lassen will, achte auf die Stalinplakette im Ausstellungsraum „Vorbilder-Leitbilder“. Den sauberen Schuß durch dessen Kopf datieren die Ausstellungsmacher auf einen Exzeß im Jahre 1956.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen