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Literatur für differenzierte Junggesellen

Fick dein Tintenfaß, riet Gustave Flaubert, dem das Schreiben zur Lustseuche geworden war. Jetzt wird die Auto(r)erotik erforscht  ■ Von Elke Brüns

Der Schriftsteller ist jemand, der mit dem Körper der Mutter spielt, schrieb Roland Barthes, und hatte dabei den Bezug zur Sprache im Sinn. Daß dies nicht so sein muß, zeigt sich, wenn das schreibende Ich mit dem eigenen Körper „spielt“: „Auto(r)erotik – Gegenstandslose Liebe als literarisches Projekt“, heißt das Untersuchungsfeld, das vom „Graduiertenkolleg Geschlechterdifferenz und Literatur“ bearbeitet wurde.

Freuds Theorie der infantilen Autoerotik bildet die Grundlage, Poesie und Geschlechterpolitik der objektlosen Liebe zu ergründen. Der Schriftsteller hört dann auf, mit dem Körper der Mutter zu spielen, wenn er sich schreibend den psychosexuellen Zustand vergegenwärtigt, der dem Entzug der mütterlichen Brust folgte: die autoerotische Wendung zum eigenen Körper. An die Stelle der Subjekt- Objekt-Beziehung tritt der Selbstbezug; die Lust – noch in Partialtriebe aufgespalten – richtet sich auf die eigenen Organe. Übertragen auf den Autor bedeutet dies, daß er, um sich zu konstituieren, kein Objekt imaginiert, sondern es zerstört . Damit löscht autoerotisches Schreiben die Repräsentation des anderen Geschlechts aus. Diese Textproduktion findet jenseits der Geschlechterdifferenz statt: ihr extremstes Bild – in unserer Gegenwartsliteratur nicht eben selten – ist der Autor als Lustmörder.

Reale und literarische Objektbezüge treten – das läßt sich schon an Gustave Flauberts „Orientreise“ zeigen – in einen Produktionszusammenhang. Obwohl „mit viel Gelüsten geboren“, klagt Flaubert, hat doch die „verdammte Literatur“ diese in seinen „Bauch zurückgedrängt“. Schreiben wird zur „Lustseuche“, zu einer Wunde, an der er sich „jeden Tag kratzen muß“. Die Abweisung der realen Frau ist Bedingung der Kunstproduktion, und Flaubert macht die Not zur (Un-)Tugend: „Du wirst dein Genie auf dem Grund einer Gebärmutter verlieren – fick dein Tintenfaß!“

Damit steht der Auto(r)erotik nichts anderes mehr im Wege: Das schreibende Ich nimmt keine libidinöse Besetzung der Welt und ihrer sprachlichen Repräsentanten mehr vor, die Textproduktion selbst wird zum autoerotischen Akt. Im schreibenden Selbstgenuß löst sich die Repräsentationsform der Sprache auf: das aufgegebene Andere wird nicht mehr gestaltet. Die Sprache zerfließt, um im autoerotischen Bild zu bleiben, in und an sich selbst.

Anders als der Narzißmus nimmt das autoerotische Begehren nicht das integrale Ich zum Liebesobjekt, sondern die Partialobjekte des Körpers. Die Partialtriebe sind noch nicht unter dem Primat der genitalen Lust geordnet, sondern führen ihr anarchistisches Eigenleben. Die erotischen Zonen des Körpers werden Quelle und Ziel der Lust: Voyeurismus, Exhibitionismus, orale Einverleibung, aggressive Zerschlagung, genitale Selbstbefriedigung stehen auf der sündigen Liste der Lüste.

Das ändert auch die Sprache der Liebe. Goethes berühmtes „Gedicht an Charlotte von Stein“ wendete sich in seinem Begehren – „Warum gabst du uns die tiefen Blicke“ – noch an das Liebesobjekt, Gottfried Benn hingegen schreibt das Motto des dichterischen Selbstbezugs: „Auch was sich noch der Frau gewährt, / ist dunkle süße Onanie“. Dieser Verlust des Anderen zieht tendenziell den Untergang des schreibenden Ichs nach sich: So bleibt gegenstandslose Liebe literarisches Projekt.

Keine Liebessprache, sondern „Syph-Philologie“ skizziert die „Literaturgeschichte der Syphilis“. Die Syphilis erweist sich als Körpermetapher der Moderne, in der sich (Geschlechter-)Politik und Kunstproduktion zugleich darstellen lassen. Um 1900 wird der Körper als ästhetischer und sozialer Bedeutungsproduzent signifikant. Die Geschlechtskrankheit spitzt das autoerotische Produktionsprinzip zu: das genialische Werk als Selbstzeugung des kranken Körpers. Auch das faschistische Kollektiv sah sich syphilitisch als von „jüdischen Erregern zersetzter Volkskörper“. Kunst und Politik prallen in der Metapher der venerischen Krankheit aufeinander, wenn etwa Thomas Manns „Dr. Faustus“ die syphilitische Produktion von Leverkühn als „Teufelspakt“ dämonisiert und damit Anleihen bei der antisemitischen Bildwelt macht.

Kaum erstaunlich, wurde Syphilis lange mit Onanie verbunden: syphilitische Symptome – Rückenmarksschwund, Gehirnerweichung, Ausschlag drohten als Resultat der einsamen Lust am Text. Ob dieses Schreckensbild allerdings jemals lüsterne Lektüre verhindert hat? Ein Beitrag über neue erotische Romane aus Spanien jedenfalls deckt andere Gefahren auf. Sie animieren durch die Darstellung von Homo-und Transsexualität zu einem anderen Voyeurismus, der sich subversiv auf die „sexistische“ Ordnung der Blicke auswirken soll. Der „Gegen-Verkehr“ findet aber – unabhängig vom Geschlecht des Verfassers – um so brutaler zu den gängigen „Verkehrs-Regeln“ zurück. „Vernichte die Identität, und du fliegst rapide; aber fraglich, ob du das Tempo aushältst“, schrieb Carl Einstein schon 1912. – Ignoriert also die Auto(r)erotik das Geschlecht? Eher scheint es, als sei – die wenigen Beiträge zu Autorinnen legen es nahe – Auto(r)erotik ein einsames männliches Geschäft. Die weibliche Variante bleibt der „dark continent“, den schon Freud in der Frau sah. Der weibliche Wißtrieb – hier bleibt er unbefriedigt. Fraglich ist, ob weibliche Auto(r)erotik aus der klassischen Psychoanalyse zu entwickeln ist, und ob sie ohne eine weibliche Subjekttheorie nicht unsichtbar bleibt: In dieser Forschungslücke setzt sich offenbar die phallische (Nicht)- Repräsentanz des weiblichen Geschlechts fort – Mangel, Spalte, Loch.

Anhand des autoerotischen Modells, dies zeigen die fundierten Beiträge, lassen sich vor allem moderne Textpraktiken beschreiben. Nicht die psychosexuelle Disposition des Autors ist dabei angesprochen – zerfallen dem modernen Subjekt doch ohnehin Sprache, Welt, Ich, Objekt. Die Kategorie „Geschlecht“ bleibt davon nicht unberührt. Aber entlarvt sich Autoerotik letztlich nur als Machtdiskurs, dem die „Vernichtung der weiblichen Objekte letztes und wirksamstes Mittel ist, deren Subjektwerdung zu verhindern“? So entsteht Carl Einsteins „Literatur für differenzierte Junggesellen“ aus Angst vor verobjektivierender Wiederholung, beim vögeln wie beim schreiben. Im rapiden Flug der Identitätsvernichtung heißt es, siehe oben, Tempo aushalten. In der beschleunigten Sprach- und Subjektkrise der Moderne bringt autorerotisches Schreiben Innovationsschübe.

Die libidinösen Schreibpraktiken sind vielleicht nicht so streng zu trennen. Unterhält das schreibende Subjekt nicht grundsätzlich ein auto(r)erotisches Verhältnis zur Sprache? Isoliert man gezielt die lustmörderische Schreibweise, kommt die Liebesaffaire mit der Sprache zu kurz. Ein anderes Bild des präödipal entgrenzten, partialtriebhaften Autors entwarf bereits die Psychoanalytikerin und Texttheoretikerin Julia Kristeva. Müssen wir etwa uns den autoerotischen Schriftsteller als pickeligen und rückenmarksschwundigen Bruder des von ihr beschriebenen erotischen Sprachrevolutionärs vorstellen?

„Geschlechterdifferenz und Literatur“ nennt der Band „ein Kulturthema ersten Ranges“: programmatische Worte, deren Richtigkeit feministische Forscherinnen früh erkannten. Soll die Etablierung zum Kulturthema nicht den „Effekt Frau“ als „stumme Arbeiterin hinter den Kulissen“ (Kristeva) zeitigen, dürften gerade dessen „symbolische Mütter“ auf dem Weg in die Institutionen nicht als Appendix „männlicher“ Theoriebildung in Fußnoten verstummen. Die anregenden Analysen zur Auto(r)erotik verheißen auch jenseits des zentralen väterlichen Primats manche weiblich anarchistisch- parzellierte (Theorie-)Lust. Aber auch so macht die Lektüre glücklich: Denn ob es nun mit dem Körper der Mutter spielt oder mit dem eigenen, das Subjekt – im-Schreibprozeß – es bleibt freudig ein perverses.

„Auto(r)erotik – Gegenstandslose Liebe als literarisches Projekt“. Hg. von Annette Keck/Dietmar Schmidt. Erich Schmidt Verlag, 185 Seiten, 84 DM (Geschlechterdifferenz und Literatur; Bd. 2)

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