: 300 beim Höhepunkt
■ Hanfgipfel mit Teilnehmern aus fünf Kontinenten
Auf dem technisch-wissenschaftlichen Symposion, Biorohstoff Hanf in Frankfurt/Main, diskutierten im März 300 führende Wissenschaftler und Entwickler aus 20 Ländern ihre neuesten Forschungsergebnisse, Technologieentwicklungen und Hanfproduktlinien. Referenten und Teilnehmer kamen aus fast allen Ländern Westeuropas sowie Rumänien, Ungarn, Tschechei, Polen, Ukraine. Auch Kanada, die USA, Australien, China und Senegal waren vertreten.
Dies war der größte Fachkongreß zum Thema Nutzhanf, der jemals stattgefunden hat. Die Zeit war reif für ein solches Symposion. Insbesondere in den letzten drei Jahren wurde der Hanf weltweit mit einer solchen Dynamik wiederentdeckt, daß ein Zusammentreffen der wichtigsten Akteure längst überfällig war. Hanfforscher und Entwickler waren „heiß“, sich endlich mal persönlich kennenzulernen, Erfahrungen auszutauschen, Projektideen zu entwickeln und eben auch von Unbekannten Neues zu erfahren.
Die anvisierten Synergismen scheinen Realität geworden zu sein, und es ist zu erwarten, daß das Biorohstoff-Hanf-Symposion weltweit und insbesondere auch in Deutschland wichtige Impulse geben konnte, um das ökologische und ökonomische Potential dieser vielversprechenden und lange vergessenen Nutzpflanze rasch zu erschließen.
Deutschland und USA beim Anbau abgeschlagen
Am ersten Tag des Symposions ging es um vor allem um Statusberichte aus verschiedenen Ländern. Wie weit ist die Wiederentdeckung von Hanf in verschiedenen Ländern gediehen? Welche Anbauflächen sind für 1995 geplant, und welche Produktlinien können bereits realisiert werden? Beispielhaft berichteten Referenten aus 12 Ländern über den Status von Hanf. In fast allen Ländern gibt es Versuchsanbau im Hektarmaßstab oder bereits kommerziellen Anbau. In den Niederlanden und England wird man bereits 1995, im zweiten Anbaujahr, Flächen zwischen 1.000 und 3.000 ha mit Hanf bestellen, wobei die Ernte schon verkauft ist. Schlußlicht bildeten die USA, gefolgt von Deutschland.
Der zweite Tag des Symposions war der Hanfpflanze gewidmet. Es ging um weltweit noch vorhandenes Genmaterial, aktuelle Züchtungen, Pflanzen- und Agrareigenschaften und schließlich auch Erntetechniken. Dieser Tag wurde zum Treffen zweier Forschergenerationen. Zum einen alte Wissenschaftler, die seit Jahrzehnten über Hanf forschen oder zuletzt in den 60er Jahren in die damalige deutsche Hanfforschung involviert waren, zum anderen viele junge Wissenschaftler, die erst in den letzten Jahren zum Hanf kamen.
Zwei Aussagen scheinen von besonderer Bedeutung: Die Wiederentdeckung von Hanf ging gerade noch rechtzeitig vonstatten. Viele Sorten, die in den nächsten Jahren unwiederbringlich verlorengegangen wären, konnten gerettet und wieder vermehrt werden. Den Züchtern steht nun hinreichendes Material zu Verfügung, um ertragreiche Sorten für verschiedene Klimate zu züchten. Für unsere Breiten stehen neben EU- zugelassenen französischen Sorten vor allem ungarische zur Verfügung.
Zum anderen widerlegten die Wissenschaftler, daß es sich beim Hanf um eine „Wunderpflanze“ handele, wie es Teile der Hanfgemeinde gerne verkünden. So ist Fortsetzung nächste Seite
der Grünmasseertrag von Hanf keineswegs Spitzenklasse, sondern gerade mal Mittelmaß. Dennoch, so war man sich einig, gehört Hanf zu den interessantesten nachwachsenden Rohstoffen der gemäßigten Breiten, und das vor allem aufgrund seiner ökologisch günstigen Anbaueigenschaften und seiner hochwertigen Rohstoffe.
Auf großes Interesse stieß ein Vortrag aus Polen über den Hanfanbau auf schwermetallbelasteten Böden. Hanf gedeiht dort gut, die Belastung der Rohstoffe sei in vielen Einsatzgebieten ohne Relevanz, und die Böden würden nach und nach entgiftet. Ob dies jedoch ökologisch Sinn macht, muß noch untersucht werden.
Neuer Biokunststoff auf Hanfbasis
Höhepunkt des Symposions – gemessen an der Teilnehmerzahl, war der dritte Tag, an dem es um Verarbeitungsverfahren und Produkte ging. Agrarwissenschaftler aus den Niederlanden stellten erstmalig in Deutschland die Ergebnisse ihrer zehnjährigen Hanfforschung vor. Jan van Dam, von einem niederländischen Forschungsinstitut in Wageningen, präsentierte eine gerade erschienene EU- Studie zu Marktpotentialen von Hanf und anderen Faserpflanzen in der EU. Besonders zukunftsträchtige Anwendungsgebiete sind demzufolge der Papierbereich und Faserverbundwerkstoffe für die Industrie. In der EU werden Absatzmärkte zwischen 100.000 und 400.000 Tonnen Fasern pro Jahr erwartet.
Gertjan van Roekel, ein Kollege van Dams, stellte ein neuentwickeltes, chemomechanisches Verfahren zur Zellstoffherstellung aus Hanffasern vor. Das neue Verfahren überzeugt durch Ökologie und Preis. Gegenüber üblichen Holzzellstoffprozessen kann der Chemieeinsatz drastisch reduziert werden, gleichzeitig fährt der Prozeß bei erheblich niedrigeren Temperaturen – der Zellstoff wird nicht gekocht. Dadurch kann auch der Energieeinsatz deutlich gesenkt werden. Neben diesen ökologischen Vorteilen überzeugte vor allem die Kostenseite: Das neue Verfahren senkt den Preis für Hanfzellstoff auf ein Fünftel und kann mit einem Preis von rund 750 Mark pro Tonne selbst großindustriell erzeugten Holzzellstoff unterbieten. Auf dem Symposion anwesende potentielle Investoren wollen diese Technologie möglichst rasch im Industriemaßstab umsetzen, vermutlich zunächst in den Niederlanden und Ungarn.
Axel Herrmann von der Deutschen Luft- und Raumfahrttechnik (DLR) zeigte mit Hanffasern verstärkte Biokunststoffe, die von ihren Materialeigenschaften her bislang übliche glasfaserverstärkte Kunststoffe ersetzen können. Geplant ist vor allem der Einsatz im Automobilbau.
Bis dies im großen Stil möglich ist, müssen moderne, ökologische Faseraufschlußanlagen her, die bislang nur im Labormaßstab existieren. In Deutschland entwickelte Verfahren wie Dampfdruckaufschluß oder auch Ultraschallaufschluß stießen dabei auf starkes internationales Interesse. Beide Verfahren können die Anwendungspalette für Hanf als Industriefaser stark erweitern und damit neue Märkte erschließen. Interessant ist auch die Produktion von kurzfaseriger Hanfwolle, die wie Baumwolle verarbeitet werden kann und als ökologische Naturfaser Karriere machen könnte.
Der vierte Tag des Symposions war einer Vielzahl von weiteren Hanfnutzungen gewidmet, Hanfschäben als Baumaterial, Hanf als Energiepflanze, Hanföl, Hanf in der Medizin und schließlich Hanfmarketing.
Marihuana hilft gegen Appetitlosigkeit
Lester Grinspoon, Harvard Medical School, ein Vorreiter bei der (Wieder-)Verwendung von Marihuana in der Medizin, hielt ebenfalls einen Vortrag: Er faßte die wichtigsten medizinischen Wirkungen von Marihuana zusammen und referierte über seinen Kampf, diese wirkungsvolle und nebenwirkungsarme Medizin Patienten zugänglich zu machen. Von besonders großem Nutzen ist der Einsatz gegen Appetitlosigkeit und Auszehrung bei AIDS- und Chemotherapiepatienten. Zur erfolgreichen Anwendung bei AIDS-Patienten konnten die University of California und das Krankenhaus Berlin-Moabit eigene klinische Versuche vorlegen.
Ein wesentlicher Grund, das Symposion in Deutschland zu veranstalten, war der Wunsch, deutsche Forscher und Entwickler trotz Anbauverboten und Fehlen von Forschungsmitteln in die internationale Hanfentwicklung zu integrieren. Michael Karus
Der Autor ist Geschäftsführer des nova-Institutes für politische und ökologische Innovation und Organisator des Hanfgipfels.
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