Die Fernsehwirklichkeit in Partyhäppchen

■ Eine Streitschrift von Radio-Bremen-Querdenker Elmar Hügler: „Anstiftung zur Vorspiegelung wahrer Tatsachen“

Wenige wissen viel darüber. Einige wissen etwas darüber. Die meisten wissen nichts darüber. Alle reden darüber. Die Verkommenheit der Fernsehprogramme, des Dokumentarfilms, die Zerstückelung der Wirklichkeit in Partyhäppchen, die Berichterstattung über spektakuläre Ereignisse in der Art eines medialen Bluthustens. „Explosiv“ und „Exklusiv“, „Extra“, „Frontal“ oder „Brisant“.

Es ist eine undankbare Aufgabe, im deutschen Fernsehen gegen den Strom der beflissenen MacherInnen, der cholerischen ChefentscheiderInnen und der emsig schon wieder umstrukturienden UmdenkerInnen zu schwimmen. Aber auch, wer gegen den Strom schwimmt, schwimmt im Strom. Elmar Hügler, seit 20 Jahren Leiter der Abteilung für „Kultur und Gesellschaft“ beim Bremer Fernsehen, ist standhaft geblieben. Sein Buch „Anstiftung zur Vorspiegelung wahrer Tatsachen“ ist eine höfliche, aber unverblümte Bilanz: darüber, wie die Wirklichkeit im deutschen Fernsehen dargeboten wird.

Die Bilanz fällt vernichtend aus für all jene, die glauben, die knalligen TV-Magazine der derzeitigen Fernsehlandschaft böten etwas wirklich sensationell Neues. Denn nichts ist neu. Alles ist irgendwie so oder so ähnlich schon mal dagewesen. Die BerichterstatterInnen, so der Tenor von Hüglers Abrechnung, dokumentieren letztlich nur die unaufhaltsame Wandelbarkeit der Welt. Stilfragen gibt es demnach im Fernsehen keine mehr. Höchstens noch ein Übermittlungsproblem.

Was bleibt, ist dies: die Aufweichungen der filmischen Kunstformen zu beliebigen Formaten; billige Anmache statt kreativem Eigensinn. Exklusiv statt kultiviert, brisant statt elegant, frontal statt mitreißend.

Wie es auch anders geht, dafür hat Hügler selbst einige stilbildende Beispiele geliefert. Mit seinen 62 Jahren kennt er die Wege, Wandlungen und Wirrnisse des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens besser als mancher andere. Dem zum Trotz hat er mit Radio Bremen wichtige Kapitel des ARD-Fernsehens mitgeschrieben; er war wegweisend, wenn andere ratlos waren. „Unter deutschen Dächern“, die S-Klasse des Dokumentarfilms, ist unter dem wachsamen und kritischen Blick Hüglers gewachsen. Die Qualität der Reportagen degradiert die Beiträge anderer ARD-Anstalten bisweilen zu beiläufigen Feature-Schwammerln.

Es gibt wenige Bücher über das deutsche Fernsehen. Und wenige kluge Bücher. Hüglers „Anstiftung zur Vorspiegelung wahrer Tatsachen“ ist so eines. Eine Streitschrift, explosiv und brisant, wenn man sie zu interpretieren weiß. Lehrreich, wenn man mehr über das deutsche Fernsehen wissen will, als Hans-Joachim Friedrichs in seinem letzten Interview andeutete. „Wenn Sand im Getrtiebe ist“, sagt Elmar Hügler programmatisch, „muß man darauf aufmerksam machen, bevor die Maschine steht.“ Lutz Wetzel

Erschienen in der Reihe „Texte und Thesen“ bei der Edition Interfrom (Zürich); 256 Seiten; 22 Mark