Überwältigende Leerstellen

In Berlin werden sämtliche Entwürfe zum Holocaust-Denkmal gezeigt  ■ Von Katrin Bettina Müller und Rolf Lautenschläger

Mehr als Abstand zu den Objekten spürt man kaum, wenig Gegenwart und wenig Erinnerung, keine Hoffnung, aber auch keine Tränen. Box für Box, Meter für Meter, Stellwand für Stellwand verdichtet sich das Gefühl, daß mit skulpturaler Monumentalität und schierer Größe die Unermeßlichkeit der brutalen Vernichtung nicht abgebildet, nicht mahnend thematisiert werden kann.

Immerhin lassen sich Ausnahmen und Reflexionen unter den 528 Entwürfen für das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ finden, die im ehemaligen Staatsratsgebäude in Berlin ausgestellt sind. „Not a monument. For this monstrosity it is impossible to create a monument“, erläutert etwa Dani Karavan sein Modell aus blühenden Stauden, die einen gelben, asymmetrisch verschobenen Davidstern bilden. Ohne Inschriften, Wege oder Zäune wachsen und verblühen die Blumen unabhängig von den Wünschen nach Erinnerung oder Vergessen. Der Entwurf für den Standort am Brandenburger Tor kann fast als Weigerung verstanden werden, Erinnerung zu erzeugen.

Widerstand gegen die Konzeption des Wettbewerbs ist auch aus zwei Beiträgen ablesbar, die von der Jury unter die ersten 17 Ränge aufgenommen wurden. Auf Information und die Rückholung der Erinnerung an den authentischen Ort beharren die Entwürfe „Bus Stop“ von Renata Stih und Frieder Schnock und „eingeschrieben“ von Katharina Kaiser. Das „Nicht- Monument“ „Bus-Stop“ versteht sich als Dienstleistung an der Geschichtsarbeit: Von hier aus würden Fahrten zu der Ausstellung „Topographie des Terrors“ oder dem neuen Jüdischen Museum ebenso stattfinden wie zu den bestehenden Gedenkstätten in ehemaligen Konzentrationslagern. Und noch einen Schritt weiter in der Verneinung der symbolischen Zeichensetzung als Reinigungsakt im Zentrum der Hauptstadt geht Katharina Kaiser. Sie schlägt vor, das Grundstück zu verkaufen und aus dem Erlös eine Stiftung zu finanzieren, die sich dem Erhalt bestehender Gedenkstätten widmet. Im Stadtbild von Berlin würden statt dessen leuchtende Schriftzeichen ein Netz zwischen Orten der Trauer, der jüdischen Kultur und den Orten der Täter schaffen.

In seiner Rede zur Ausstellungseröffnung verwies Walter Jens, Vorsitzender der Wettbewerbsjury, auf ein Geschichtsbild, in dem „Germania und Treblinka“ zusammengehörten. Doch den historischen Zusammenhang zwischen der Vernichtung der Juden und den Zielen faschistischer Politik haben außer Stih/Schnock und Kaiser kaum Künstler thematisiert.

Wenn Monumentalität nur sich selbst meint und die Denkmäler mehr die eigene Stilisierung würdigen als die Toten, stellt sich die Frage nach dem Sinn eines derartigen Wettbewerbs und einer ästhetischen Form – welch ein Irrsinn – für das Holocaust-Denkmal in Deutschland. Drei Wochen nachdem die Jury das Ergebnis vorstellte, dokumentieren die Entwürfe zwar den intensiven Wunsch, den ermordeten Juden im öffentlichen Gedächtnis der Deutschen einen Ort zu schaffen. Zugleich aber führt der Blick auf die Gestaltungsversuche die großen Schwierigkeiten einer Gedenkpolitik vor Augen, die um ihre jahrzehntelangen Defizite in der deutschen Nachkriegsgeschichte weiß. Denn in den Beiträgen kommt die Suche nach architektonischen und skulpturalen Metaphern für das menschliche Unvermögen, sich der geplanten Vernichtung von sechs Millionen Menschen in Gedanken zu stellen, einer Kapitulation vor dem Thema gleich. 50 Meter in die Tiefe etwa zieht den Blick ein in die Erde eingegrabener Kubus: Diese Grube, von Rudolf Herz und anderen, wird zur überwältigenden Leerstelle, zur negativ gewendeten Monumentalität. Sie ist nicht nur Zeichen für das unfaßlichen Ausmaß des Verbrechens an den Juden, sondern auch hermetischer Orkus, der die hineingestürzten Gedanken gefangenhält. Dieses Abtauchen in einen unterirdischen Raum, der jede gewohnte Maßstäblichkeit sprengt, gibt es in vielen Entwürfen. Wie Herz argumentieren sie mit Strukturen leerer Totenstädte und großer Grabfelder, die auf Schweigen, Schrecken und Entsetzen als Instrumente der Katharsis setzen.

Von einer solchen Dimension des Unsagbaren, die sich leicht der Diskussion des historischen, sozialen und politischen Kontextes entzieht, ist auch der Entwurf von Simon Ungers geprägt, der einen der beiden ersten Preise erhielt. Dort bilden überdimensionale Stahlträger ein Quadrat, in das die Namen aller Konzentrationslager gestanzt sind. Der zweite erstprämierte Entwurf von Christine Jakob- Marx und anderen sieht eine bis zu 11 Meter Höhe ansteigende Grabplatte vor, in die in einem langen Prozeß die Namen der Ermordeten geschrieben werden sollen.

Jens kommentierte die Wettbewerbsentscheidung nicht als sicheres Ergebnis, sondern als „zögernden“ Versuch, Erinnerung zu wecken. Erinnerung aber setzt Wissen voraus. Daß es an einer Aufarbeitung der Geschichte mangelt, spiegelt sich in den Konzepten wider, die sich ähnlich wie die Grabplatte an Namenslisten und Daten abarbeiten. So schlug die Gruppe um die Berliner Künstler Bettina und Martin Rissler-Möllring vor, die Namen der Toten in Tontafeln zu schreiben, zu brennen und aufzustapeln, was später überwachsen soll: In dieser romantisierenden Fassung wird der Schmerz um die Toten allmählich besänftigt. Von sechs Millionen leeren Buchseiten, die allmählich mit dem Wissen um das Leben und Sterben der Vernichteten zu füllen seien, ging eine andere Idee aus, die in den Bau einer Bibliothek als Denk- und Arbeitsort münden würde.

Es bleibt die Frage, wie der „wichtigste Wettbewerb“, so die Denkmals-Initiatorin Lea Rosh, die Energie und Bereitschaft zur Auseinandersetzung, die sich in den Beiträgen zeigt, in einen produktiven Diskurs hätte lenken können. Sicher ist die Antwort nicht die, daß es für Deutsche keine angemessene Form gebe, sich zur Vernichtung und zum Naziterror zu verhalten. Dies bedeutete ein moralisches Scheitern. Sicher aber ist, daß allein mit der auftrumpfenden Geste der Monumentalität eine Denkmalsform, ein Symbol der Trauer oder Mahnung nicht gefunden werden kann. Jens wies in seiner Eröffnungsrede auf diesen Konflikt hin: „Der Entwurf sollte bedeutsam und menschlich sein“, meinte er, wohl wissend, daß Monumentalität den menschlichen Zugang versperrt.

Wo so viel fehlt – Selbstreflexion, Bescheidenheit und die Auseinandersetzung mit historischen Zusammenhängen –, tut das Weitere ein übriges. Eine „Machbarkeitsstudie“ soll klären, welcher der beiden Siegerentwürfe ab 1996 für 16 Millionen Mark realisiert werden kann. Schon die inhaltliche Diskussion über Symbole des Gedenkens war defizitär. Jetzt geht es ums Geld.

Bis 7.5. im ehem. Staatsratsgebäude am Schloßplatz, Berlin