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Spielregeln militant verletzen

■ Ein Gespräch mit Initiatoren des Kongresses über den Stand der Bewegung und einen „neuen Umgang mit Widersprüchen“

taz: Gibt es „die Autonomen“ in den neunziger Jahren überhaupt noch?

Willy: Es gibt Leute mit einer autonomen Geschichte. Als Bewegung gibt es die Autonomen nicht mehr.

Warum der Versuch, Autonomie als politischen Begriff wiederzubeleben? Was unterscheidet ihn von einer Politik von unten?

Luise: Ich würde sagen, das erste Kriterium ist eine Politik in der ersten Person, also Politik nicht für andere zu machen. Und sich zweitens die Mittel für die Durchsetzung der eigenen Politik nicht aufzwingen zu lassen, sondern sie eigenverantwortlich zu bestimmen.

Phillipe: Autonome Politik ist selbstbestimmte und eigenverantwortliche Politik.

Willy: Und steht nicht im Widerspruch zur Kollektivität.

Ist diese Kollektivität mehr als bloß graue Theorie? Jahrelang haben Autonome in Westberlin versucht, Häuser und Freiräume zu besetzen. Und nun gibt es in den besetzten Häusern im Ostteil der Stadt keine Kollektive mehr, sondern nur noch Etagenküchen.

Luise: Das ist natürlich ein schwieriger Prozeß mit der Kollektivität. Aber als Utopie gibt es dazu keine Alternative.

In den achtziger Jahren waren die Autonomen ein wesentlicher Bestandteil jugendlicher Subkultur. Heute fühlen sich viele linke Jugendliche eher der Antifa zugehörig. Andere schlagen sich als Großstadtpiraten durchs Leben. Sind die Autonomen eine altmodische Szene, mit der man nicht mehr verbindet als langwierige Plena und nutzlose Debatten?

Luise: Es ist sehr schwer, das Erbe der autonomen Szene anzutreten. Insofern ist der Kongreß auch der Versuch, den Autonomiebegriff gegen die autonome Szene in Schutz zu nehmen. Und auch zu sagen: Das eine ist zu Ende gegangen, das andere ein Neuanfang. Große Ausstrahlungskraft auf die Jugendlichen haben wir im Moment wirklich nicht. Deshalb sehe ich unsere Rolle eher darin, unsere Erfahrungen auf einen Begriff zu bringen, damit sie sich irgendwann einmal mit den Bedürfnissen, den intuitiv umgesetzten Erfahrungen der heutigen Jugendlichen verbinden.

Phillipe: Eine Bewegung, die stehen bleibt, sich nicht mehr bewegt, wird zu einer Szene, die sich gerade auch kulturell und subkulturell immer selbst reproduziert. Wir müssen deshalb offener werden für andere Lebensentwürfe, eine andere Praxis, auch eine andere kulturelle Praxis.

Luise: Es gibt auch politisch keine Alternative dazu, den subjektiven Ansatz mit dem Gedanken der Kollektivität zu verbinden. Die plansozialistischen Experimente sind an dem Balanceakt zwischen gegenseitiger Abhängigkeit und Selbstbestimmtheit gescheitert. Auf der anderen Seite herrscht eine knüppelharte Ellenbogenmentalität, die ja den Individualismus von Jugendlichen mitprägt.

Phillipe: Es geht uns auch darum, Konventionen und Umgangsformen aufzubrechen. Und damit auch einen spielerischen Umgang mit Widersprüchen zu finden. Einer, der wieder attraktiv ist und nicht so repressiv moralisch nach innen und außen.

Die eigenen Widersprüche wurden in der autonomen Szene in der Vergangenheit selten formuliert.

Luise: Und eben auch nicht, daß die Militanz nach außen oft mit einer Angst, Fehler zu machen, nach innen korrespondiert hat. Und einem Bedürfnis nach Instanzen, die einem sagen, wo es lang geht. Mitsamt der Hierarchien, die damit verbunden sind. Diese Hierarchien werden uns ja oft vorgeworfen und behauptet, eine Organisation wäre besser als eine Bewegung. Aber die Hierarchien haben nichts mit der Bewegungsstruktur zu tun, sondern mit der Angst, sich für die eigenen Positionen einzusetzen.

Ein spielerischer, undogmatischer Umgang mit der eigenen Politik, der Versuch, auf einem Kongreß aus der Anonymität der sonstigen Debatten herauszutreten, trifft das auf ungeteilte Zustimmung?

Luise: Das ist überhaupt nicht Konsens. Für jüngere Leute ist es unter Umständen wichtig, auch von der Gegenseite als gefährlich anerkannt zu werden, da sind Symbole dann wichtig. Außerdem gibt es ja tatsächlich gute Gründe für Anonymität. Man sollte nicht vergessen, daß wir immer wieder verfolgt werden. Aber ich denke, es ist schon gut, etwas souveräner und pragmatischer damit umzugehen.

Phillipe: Hinter Anonymität läßt es sich ja oft verstecken, weil man den eigenen Inhalten vielleicht nicht vertraut oder die eigene Sprache noch nicht gefunden hat. Ich glaube, daß wir auf viele gesellschaftlichen Diskurse keine Antworten haben und unsere Sprache noch nicht gefunden haben, keine Mittel haben, uns da einzumischen. Außerdem gibt es die reflexive Angst davor, reformistisch zu sein.

Kann autonome Politik pragmatisch sein oder lebt sie noch immer vom Gegensatz revolutionär versus reformistisch?

Luise: Für mich ist es keine Gefahr, in das System eingebunden zu werden, wenn ich erfüllbare Forderungen aufstelle. Natürlich müssen wir realistische Sachen machen, die Leute lachen uns sonst ja aus. Auf der anderen Seite müssen wir auch immer im Kopf behalten, immer wieder die Spielregeln militant verletzen zu können.

Warum haben sich viele Leute aus der ehemaligen DDR aus der Kongreß-Vorbereitung zurückgezogen?

Phillipe: Auf der einen Seite gibt es wirklich eine Ignoranz von Westautonomen, die sich auch darin niederschlägt, daß anders gestritten wird. Ich glaube aber, viele, die sich rausgezogen haben, benutzen die Ost-West-Differenz, um sich dahinter ein wenig zu verstecken.

Diese Differenz besteht auch darin, daß die Aufarbeitung stalinistischer Politik in der Westlinken nach wie vor unpopulär ist.

Luise: Ich glaube, in solchen Sachen sind die Autonomen nicht unbedingt Ansprechpartner. Wir haben uns ja immer abgesetzt von den orthodoxen, elitären stalinistischen Organisationen und dem Zwang, sich einer scheinbar objektiven Wahrheit unterzuordnen. Das ist ja nicht der Stalinismus als solcher, um den es geht, sondern eine bestimmte unterordnende Haltung, ein instrumentelles Verhältnis zur Politik. Und damit muß man sich beschäftigen. Dann folgt daraus eine Absage an Stalin, aber es folgt auch eine Absage an Lenin. Und nur Stalinismus bekämpfen und den Rest davon wieder freischneiden, den Maoismus zum Beispiel, da ist nichts gewonnen.

Ist nicht der Autonomiekongreß selbst das Ergebnis einer solchen Auseinandersetzung?

Luise: Wir haben vor zwei Jahren gemerkt, daß wir keinen Bock mehr hatten, uns von dogmatischen Gruppen vereinnahmen zu lassen, die sich in der Vorbereitung zur 1.Mai-Demonstration breitgemacht haben. Das hat dann dazu geführt, daß wir gesagt haben, wir müssen darüber in Ruhe und sehr prinzipiell reden.

Willy: Aus meiner Sicht gibt es auch die Notwendigkeit, sich nicht mehr länger über den politischen Gegner zu definieren, sondern eigene Ziele zu formulieren.

Auf dem Kongreß soll es auch eine Debatte über autonome Kultur geben. Ist das mehr als eine „Ästhetik der Verweigerung“?

Phillipe: In Bewegungszeiten, bei Demonstrationen, bei der Nolympia-Kampagne, sind sie plötzlich da, Künstlerhäuser oder subkulturelle Szenen. Wenn man aber zu denen hingehen und sagen würde: Kommt doch zum Kongreß, dann würden die sagen: Autonome, was haben wir denn mit denen zu tun?Die Namen wurden anonymisiert Interview: Uwe Rada

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