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Auf dem Weg zur „Bordell GmbH“

■ Ein Handbuch gegen Diskriminierung und Stigmatisierung von Prostituierten

Es gibt Reformen, die überfällig sind. Die Reform der Sexwirtschaft, auch Prostitution genannt, gehört dazu. Seit 1973 ist die Prostitution an sich zwar weitgehend entkriminalisiert, doch die staatliche Diskriminierung hat damit noch lange kein Ende. Unter ihrer tatsächlichen Berufsbezeichnung etwa können sich Prostituierte weder privat noch gesetzlich krankenversichern. Für sie gibt es weder Renten- noch Arbeitslosenversicherung. Die Prostitution scheint eine der letzten großen sozialstaatsfreien Zonen unserer Gesellschaft zu sein. Daß der Staat sich dennoch nicht zu fein ist, aus dem „unsittlichen“ Geschäft Steuern abzuzwacken, ist nur der Gipfel der Doppelmoral.

Lange wird sich das nicht mehr aufrechterhalten lassen. Eine kleine, aber agile Selbsthilfebewegung der Prostituierten hat sich entwickelt und macht Druck. Die Frankfurter Selbsthilfegruppe „Huren wehren sich gemeinsam“ (HWG) hat die verschiedenen Diskussionsansätze jetzt in einem sehr empfehlenswerten „Handbuch“ zusammengefaßt, das fast keine Fragen offenläßt.

Der das Buch zusammenhaltende Grundkonsens ist die Forderung nach Anerkennung der Prostitution als „normalem“ Beruf. Je nach Temperament sollen Prostituierte als freie UnternehmerInnen oder in abhängigen Lohnarbeitsverhältnissen arbeiten können. Gerade letzteres wird heute noch immer sehr schnell kriminalisiert. Schafft einE ClubbesitzerIn besonders angenehme Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, so gilt das als „Förderung der Prostitution“. Verhält er/sie sich wie einE echte ArbeitgeberIn, winkt schon der Straftatbestand der „dirigistischen“ oder „ausbeuterischen Zuhälterei“.

Die SexarbeiterInnen wehren sich aber nicht nur gegen rechtliche Diskriminierungen. Im Mitleid von Kirchenleuten fühlen sie sich ebenso stigmatisiert und in eine Opferrolle gedrängt wie durch die feministische Theorie. Manchmal scheinen die Schilderungen in ihrem Bemühen um Enttabuisierung etwas übers Ziel hinauszuschießen. ZuhälterInnen seien bestenfalls gute ManagerInnen, meist mehr oder weniger geeignete BeziehungspartnerInnen und nur in Ausnahmefällen üble AusbeuterInnen.

Über Untersuchungen, die darlegten, daß die meisten Prostituierten in ihrer Kindheit Opfer sexuellen Mißbrauchs waren, machen sich zwar manche AutorInnen lustig, setzen sich allerdings nicht ernsthaft damit auseinander. Überhaupt wird in den Alltagsbeschreibungen der SexarbeiterInnen vor allem das Positive des Berufsbildes bemüht. „Es erschien mir als die geniale Lösung, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden: Sex zu machen und dabei auch noch Geld zu verdienen.“

Solche Beschreibungen finden sich in dem Buch auffallend häufig. Im Gesamtzusammenhang des Buches kommen die negativen Seiten des Hurenlebens allerdings keineswegs zu kurz. Eingegangen wird auch auf die besonderen Probleme drogenabhängiger Prostituierter, auf den Rassismus vieler deutscher Huren gegenüber ihren ausländischen KollegInnen, auf die Probleme beim Ausstieg aus dem Beruf.

GesetzesmacherInnen und RichterInnen waschen ihre Hände weiter in Unschuld. Mit ihren Maßnahmen wollen sie angeblich nur die Prostitution so unattraktiv wie möglich machen, um Frauen vor dieser (ihrer Ansicht nach) menschenunwürdigen Tätigkeit zu bewahren respektive ihnen den Ausstieg zu erleichtern. Aus dem Recht auf Menschenwürde wird so aber eine Pflicht, wobei deren konkreter Inhalt hier sogar vom Staat gegen seine BürgerInnen definiert wird. Hoffentlich nicht mehr lange. Christian Rath

Huren wehren sich gemeinsam (HWG) e.V. (Hrsg.): „Prostitution: ein Handbuch“. Schüren Presseverlag, Marburg, 245 Seiten, 34 Mark

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