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Ein Comic vom Sterben – von Markuss Golschinski

Felix Gonzalez-Torres zeigte bei seiner Ausstellung im New Yorker Guggenheim-Museum ein weißes Plakat mit dickem, schwarzen Rand: eine Traueranzeige ohne Namen für all die ungenannten Aids-Toten. Markuss Golschinskis Panels sind nicht so dickumrandet. Auch bleibt der Raum nicht frei, der Zeichner wagt sich an eine Geschichte, in der fast jeder Aids hat.

Das Heft „Aus und Draußen“ spielt in der Schwulenszene von Berlin und Hamburg. Es gibt ein paar Plätze zum Wiedererkennen, Fassaden, die Reeperbahn, das Café Anal in Kreuzberg sowie die „Comic-Fachkraft des Monats“. Soweit die kleinen Freuden des Lokalkolorits. Was bei den Orten gelingt, hintertreibt Golschinski bei den Figuren. Ihre Köpfe sind Tassen, Schaufeln und Bällen ähnlich. Das Spiel mit Formen schafft Abstand, damit sich die Geschichte um Sterben und Tod nicht völlig eng ans Thema schnürt. Dennoch schlägt die Sympathie für die Infizierten zuweilen in niedliche, aber zähe Romantik um, wenn beispielsweise ein Abschiedsbrief lautet: „Und besuch' mich mal im Schlaf, falls sich das als möglich erweisen sollte.“ Das ist als Botschaft nur noch gutgemeint.

Solche Verklärung des Todes unterläuft Golschinski aber nur selten. Der Traum vom Sterben der Hauptfigur Gerd, ein wildes Leben in Berlin und dann Schluß, scheitert schmählich nach nur einer Nacht auf dem Bahnhof Zoo. Der LSD-Trip als Befreiung kurz vor dem Tod wird zum Horrortrip – der plötzlich realistisch gezeichnete Gerd ist in seinem eigenen Augapfel eingesperrt. Und selbst an Solidarität mangelt es, schon wird den HIV-Positiven vorgeworfen, ihren möglichen Tod zu inszenieren. Golschinski erzählt das alles in ruhigen Schwarzweißzeichnungen, er verzichtet bewußt auf ausgefallene Perspektiven und graphische Details. Kein Sex, keine Gewalt, gerade mal Drogen und reichlich viel Gruppendynamik. Golschinski nimmt das Erzählte zu ernst, ist ihm der Bericht wichtiger als die Verflechtungen darzustellen. Abstand vom Erzählten muß nicht Kälte, kann zuweilen Souveränität bedeuten.

Das Lokalkolorit und die In- Group-Schilderungen reichen zwar nicht für ewig, sind in diesem Comic aber gut aufgehoben. Und Hinweise auf „Comic-Fachkräfte“ sind nun wirklich immer nützlich, gerade für Leute von außen. Martin Zeyn

Markuss Golschinski

KRMKRM nr. 2; „Aus und Draußen“, Reprodukt Berlin 1995, 8Mark

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