: „Wir mußten die Bombe bauen“
■ Eward Teller, Erfinder der Wasserstoffbombe, sprach in Frankfurt über Nagasaki und Hiroshima
Frankfurt (taz) – Moses gleich auf einen überdimensional langen Hirtenstab gestützt, klettert der 86jährige die Treppe zum Podium empor. Der Leibhaftige, der Belzebub für alle Friedensbewegten, Eward Teller, Erfinder der Wasserstoffbombe, Hauptpromotor des SDI-Programms und lebenslanger Kommunistenvertilger, ist zu Besuch im Frankfurter Volksbildungsheim. Teller ist Gast der hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Sein Thema, „die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki waren ein Fehler“, ist aus Gründen der Dramaturgie mit einem Fragezeichen versehen worden.
Die Stiftung hat Teller zum Auftakt einer ganzen Veranstaltungsreihe „Hiroshima–Nagasaki“ eingeladen, und allein in diesem Faktum spiegelt sich die Wandlung der Friedensbewegung. Angesichts weltweit aufbrechender ethnisch-nationaler Konflikte muß sie über das Zeitalter des kalten, atomwaffenbewehrten Friedens erneut nachdenken. Teller sieht sich einer sehr gemischten Abendgesellschaft gegenüber – Naturwissenschaftler, Friedensaktivisten. Darunter sind nicht wenige, die einfach nur die Aura verspüren wollen, die den letzten Überlebenden der das Jahrhundert prägenden atomaren „scientific community“ umgibt.
Um das Ergebnis des Abends vorwegzunehmen: Ein Gespräch kam nicht zustande, wohl aber ein, wenngleich nicht frontaler „clash“ gänzlich unvereinbarer politischer Kulturen. Auf der einen Seite herrscht der völlig unangekränkelte, völlig von Selbstzweifeln freie Glaube an die Möglichkeit auch künftiger Naturbeherrschung. Was entdeckt werden kann, soll entdeckt werden. Nicht Bosheit führt die Menschen zum Verbrechen, sondern Ignoranz. Auf der anderen Seite gibt es den Anspruch, die Wissenschaftler müßten die Reflexion über die Konsequenzen ihres Tuns bis zu dem Punkt vorantreiben, wo sie sich den Vorhaben verweigern, die auf Massenvernichtung orientiert sind.
Die früher so selbstsicheren, durch die kritische Reflexion namhafter Atomphysiker wie Heisenberg gestärkten Angriffe auf die atomaren Mandarine sind einem etwas kläglichen, moralisierenden „Wie konnten Sie nur“ gewichen – dem Postulat, die Wissenschaftler sollten ihr Talent doch bitte in den Dienst menschenfreundlicher Projekte stellen.
Freilich nahm Teller durch seine Kritik an der atomaren Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki den Friedensbewegten an diesem Abend viel von ihrem Schwung. Kernpunkt seiner Argumentation war nicht, daß der Einsatz der Atombombe ethisch unvertretbar oder wenigstens unnötig gewesen sei, da Japan ohnehin kapituliert hätte. Für Teller ist vielmehr unverzeihlich, daß die Wissenschaftler damals den Politikern keine sorgfältig durchgerechnete, praktisch umsetzbare Alternative zum Atombombenabwurf präsentiert hatten.
Die Alternative wäre nach Tellers Meinung die Demonstration der Bombe gewesen, in genügend großer Höhe über der Bucht von Tokio. Millionen Japaner, so Teller, hätten dann am Abend der Demonstration für drei Sekunden das gleißende Licht der Explosion gesehen und anschließend den schrecklichen Donner gehört. Der japanischen Regierung wäre sodann anheimgestellt worden, entweder zu kapitulieren oder durch ihre Weigerung die Katastrophe für ihr Land heraufzubeschwören. Es lag, so Teller, vor allem an Oppenheimer, daß der amerikanischen Regierung diese mögliche, alternative Strategie nicht klargemacht wurde.
Geschickt bat Teller sein Publikum, jede seiner Äußerungen als zweideutig anzusehen – auch das Gegenteil seiner These könne wahr sein. In Wirklichkeit aber war der Alte sich seiner Sache völlig sicher. Die Wasserstoffbombe hätte er bauen müssen, weil sonst die „russischen Imperialisten“ binnen weniger Jahre sie selbst entwickelt hätten, „dann wäre die Freiheit verloren gewesen“. Die Existenz der Wasserstoffbombe hingegen habe nicht wenig zu Amerikas Stärke beigetragen, damit aber auch zum Niedergang und zur Auflösung des Sowjetreiches – ohne jedes Blutvergießen. Christian Semler
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