: Heide-Idylle grauenhaft
■ Am 27.4. wurde Bergen-Belsen befreit
Celle „Wer nach Bergen-Belsen kam, fiel ins Chaos, ins Nichts.“ Erinnerungen eines Häftlings, der das unvorstellbare Grauen des Konzentrationslagers in der Nähe der Fachwerkstadt Celle erst nach vielen Jahren des Verdrängens in Worte fassen konnte. Gedanken wie dieser werden vermutlich bei zahllosen Opfern des Nationalsozialismus wach, die an diesem Donnerstag in Bergen-Belsen an der Gedenkveranstaltung des Zentralrates der Juden zur KZ-Befreiung vor 50 Jahren teilnehmen. „Viele kommen erstmals seit Kriegsende wieder hierher zurück“, sagt Thomas Rahe, Leiter der Gedenkstätte auf dem einstigen Lagergelände.
Diese Menschen werden auf eine Szenerie treffen, die im größtmöglichen Kontrast zu ihren Erinnerungen steht. Sieht man von den bepflanzten Massengräbern für bis zu 5 000 Tote, vereinzelten jüdischen Grabsteinen und mehreren Mahnmalen einmal ab, gibt es in der Heide-Idylle kaum noch Spuren des Schreckens. Im Gegensatz zu anderen ehemaligen KZ wie Dachau und Buchenwald kann Bergen-Belsen nicht mit „authentischen“ Zeugnissen wie Baracken, Stacheldraht und Galgen dienen. Der Grund: Um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern, brannten britische Soldaten Ende Mai 1945 – rund sechs Wochen nach der Befreiung – das Lager vollständig nieder.
„Das Fehlen von Anschaulichkeit kann auch ein Vorteil sein“, meint Rahe, der 1987 nach eigenen Worten bei der Gedenkstättenarbeit „fast bei Null“ anfing. „Der Gegensatz zwischen dem parkähnlichen Erscheinungsbild und der schrecklichen Geschichte dieses Ortes fällt auch dem unsensibelsten Besucher auf.“ Ein Vorschlag zum nachträglichen Wiederaufbau einer KZ-Baracke sei in den 80er Jahren verworfen worden, denn „die Wirklichkeit von damals, mit Hunger, Durst und Gestank, ist ohnehin nicht mehr rekonstruierbar“.
An die Stelle einer „nachträglichen Besichtigung von Geschichte“ hat Rahe ein Konzept mit drei Säulen gesetzt: Eine Pädagogik des Erinnerns durch Ausstellungen und Filme, der langfristig angelegte Kontakt zu Hunderten von Überlebenden und schließlich in zunehmendem Maße historische Forschung. Mit einem Team von nur knapp 20 festen Mitarbeitern („Die Kollegen vom Holocaust-Museum in Washington haben nur mitleidig gelächelt“) hat der 38 Jahre alte Historiker in den vergangenen Jahren zahllose Interviews mit Menschen geführt, die dem Inferno von Bergen-Belsen – etwa 50 000 Todesopfer zwischen 1943 und 1945 – entkamen.
„Die Publikation dieser schmerzhaften Erinnerungen sind wir den Opfern schuldig“, hält Thomas Rahe Kritikern entgegen, die seiner Forschungsarbeit noch mißtrauisch begegnen. Hauptaufgabe der Gedenkstätte bleibt freilich die Betreuung der zuletzt bis zu 500 000 Besucher im Jahr. Nach dem Gang durch die Dauerausstellung machen viele ihrer Erschütterung mit einem Eintrag in das Gästebuch Luft. „Nie wieder!“ ist eine der häufigeren Bemerkungen, mancher Besucher bringt aber auch persönliche Scham und Schuld zum Ausdruck.
Die Chronik der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen nach der Übernahme durch das Land Niedersachsen 1952 weist lange Phasen des Stillstandes auf. „Es gehörte wohl jahrzehntelang zum Zeitgeist, daß die Verantwortlichen nicht mit diesem Erbe umzugehen wußten“, vermutet Rahe. Mit der Neugestaltung und Erweiterung der Gedenkstätte nach 1985 wurde vieles besser.
Werner Herpell, dpa
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