: Ermittlungen gegen Karadžić
■ Der Serbenchef könnte noch in diesem Jahr vom Kriegsverbrechertribunal angeklagt werden
Den Haag (taz) – Das Kriegsverbrechertribunal der UNO in Den Haag hat gestern bekanntgegeben, auch gegen politisch Verantwortliche wie den Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, den Kommandeur der serbisch-bosnischen Armee, Ratko Mladić, sowie den ehemaligen Chef der bosnisch-serbischen Sonderpolizei, Mico Stanisić wegen Kriegsverbrechen zu ermitteln. Am Vormittag wurde außerdem der mutmaßliche serbische Kriegsverbrecher Dušan Tadić aus dem Gefängnis in München-Stadelheim mit einem Hubschrauber in das hochgesicherte UN-Gefängnis Scheveningen gebracht. Er wird beschuldigt, im Gefangenenlager Omarska in Ostbosnien 32 bosnische Muslime umgebracht und 61 weitere gefoltert zu haben.
Die Ermittlungen gegen Karadžić sind nach Aussagen des Chefanklägers des Tribunals, Richard Goldstone, bereits „weit fortgeschritten“. Ob die drei Serbenführer jedoch tatsächlich angeklagt werden, wollte Goldstone gestern noch nicht sagen. Eine Anklage sei noch im Verlauf dieses Jahres möglich. Allerdings könnte der dann auszustellende internationale Haftbefehl gegen den Serbenchef weitere Vermittlungsbemühungen für eine Beendigung des Krieges auf dem Balkan erschweren. Karadžić könnte nicht länger frei reisen, da jedes Land verpflichtet wäre, ihn zu verhaften und an den Gerichtshof zu überstellen.
Auf Fragen von Journalisten, wie das Tribunal diese Auswirkungen auf den Friedensprozeß beurteile, meinte Goldstone: „Wir sind Juristen, keine Politiker.“ Der Richter räumte ein, seinen Entschluß, gegen Karadžić zu ermitteln, nicht mit anderen UN-Organen abgestimmt zu haben. Goldstone will eine ganze Reihe von Vorwürfen gegen die drei Serbenführer untersuchen. Dazu gehören Mord, Vergewaltigung, Folter, Angriffe auf UN-Blauhelme sowie die Vertreibung einiger zehntausend bosnischer BürgerInnen.
Das Gericht weitet seine Tätigkeit jedoch auch in anderer Hinsicht aus. Während bisher vor allem gegen Serben ermittelt wurde, sollen nun auch die Verbrechen, die im Frühjahr 1993 von bosnischen Kroaten im Lasva-Tal in Mittelbosnien begangen worden sind, untersucht werden. Harald Neckelmann
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