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Kein bißchen fett, faul und rentenreif -betr.: "Test the West", taz vom 20.4.1995

Betr.: „Test the West“, taz vom 20.4.

Frau Raubolds Eifer, im trampelnden Galopp die lebendige Wüste der freien Theaterszene zu durchqueren, um das Jammertal eben dieser zu überprüfen, muß sie so geschwächt haben, daß eine Fata Morgana ihr die Sinne täuschte. Laut Recherche von Frau Raubold ist die Bremer Shakespeare Company fett, faul und freut sich auf die Rente. Wenn es darum geht, ein Image herzustellen, daß nämlich der Gedanke an Wohlstand den Charakter und die Kunst verdirbt, dann müßte unser Theater, nach Frau Raubold, keine Kulturförderung mehr bekommen, sondem die Hängematte vom Sozialstaat. Noch einmal einige Fakten:

„Nur zwei Premierenvorhänge seit September 1994 für einsame Schauspieler in Soloproduktionen!“ Was für eine Beschwerde! Das ist, als würde man behaupten, die Zeitung sei an einem Tag nicht erschienen, weil man sie bis zum Mittag nicht gelesen hat. In der Spielzeit 1994/95 geht bei der Bremer Shakespeare Company der Premierenvorhang fünf Mal hoch. Man wiederholt – bis die Jubiläen zweistellig werden, Frau Raubold, dreistellig! Wir sind ein Repertoiretheater mit derzeit 14 Produktionen im Spielplan, und wir spielen z.B. „Ich Paula, Paula Becker...“ 175 Mal, weil das Publikum es honoriert und nicht weil die Rezensentin nur in allem „Neuen“ Sinn und Zweck von Theater sehen kann. Quantität und Qualität sind Dffferenzierungsfragen! 80.000 Zuschauer pro Spielzeit in und um Bremen, 80 Gastspiele pro Spielzeit in der gesamten Bundesrepublik, Auslandstourneen und Fernsehaufzeichnungen....

Noch ein paar Worte zu der Theaterszene in der Stadt. Es gibt das Stadttheater und die Theater in der Stadt. Kontinuität und Schwerpunkte sind eine Qualität unseres Theaters. Das ist zum einen der Autor Shakespeare und die Spielweisen des Volkstheaters, die weiter erforscht werden und im Zentrum stehen, zum anderen gehören aber auch die Dramatikerwerkstatt mit 18 Uraufführungen und Projekte wie das Festival, der Dramatikerpreis, das Globe Zentrum Deutschland, Kulturpolitik etc. pp. dazu.

Richtig recherchiert von Frau Raubold: DM 9OO.OOO Förderung im Jahr 1995. Zur Information: nicht Frau Trüpel fördert, sondem das Land Bremen. Zu dieser Summe spielen 15 Schauspieler noch einmal 1,2 Millionen Mark ein. 12 Jahre nach der Gründung machen wir uns Gedanken, wie unser Betrieb mit einer Altersstruktur zwischen 25 und 61 Lebensjahren bei einem Gehalt von DM 2000 eine vernünftige soziale Absicherung für das Kollegium herstellen kann. Eine Debatte übrigens, die der taz auch nicht ganz fremd ist. Unser Ziel, eine Subvention von DM 1,8 Millionen zu erhalten, soll dazu dienen, Gehälter auszuzahlen, die auch eine Zukunft absichern können.

Na ja, aber dies wollten Sie alles gar nicht wissen, weil Sie vorher bereits gewußt haben, was Sie hinterher wissen würden und was Ihnen dann auch wieder eingefallen ist. Renate Heitmann im Namen des Ensembles der Shakespeare Company

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