: Papa ist der Beste
Der FC St. Pauli ist nicht mehr das, was er einmal war, und fühlt sich in der zweiten Liga ganz wohl ■ Aus Hamburg Jan Feddersen
Schiedsrichter Krug zeigte drei Finger in die Höhe, drei Minuten also wollte er noch spielen lassen. 1 : 1 stand es da am Millerntor zwischen dem FC St. Pauli und der abstiegsängstlichen Equipe von Hannover 96. Spielerisch hatten die Hamburger ihre Gäste aus Niedersachsen locker im Griff. Paulis Coach Uli Maslo hatte alle Vorurteile widerlegt und aus einem No- name-Kader eine spielfähige Truppe gemacht. Doch am Ende der ersten Frühlingspartie waren vor allem schlappe, erschöpfte und siegesunwillige Spieler zu sehen: Jens Scharping, just erst zum erweiterten Kreis der U-21-Spieler berufen, oder auch Stürmer Jouri Sawitschew, den die Stadionzeitung mit der Titelzeile „Mal wieder Zeit zum Jubeln, Jouri!“ erfolglos an eine ernsthaftere Arbeitsmoral mahnte – es blieb beim Remis. Sieben Spieltage vor Saisonschluß steht der FC St. Pauli wieder da, wo ihn seine Fans seit seligen Erstligatagen immer am Ende der Zweitligarunde sahen: im oberen Tabellenfeld, aber immer knapp am Aufstieg vorbeigeschrammt.
Da stellte sich nach dem Kick mancher aus dem VIP-Kreis am Millerntor die Frage: Trinken die Spieler zu oft einen über den Durst? Und: Wollen die überhaupt wirklich nach oben? Oder steckt hinter dem steten Scheitern des „Freudenhauses“ der deutschen Fußballszene, in das Oberhaus der Branche aufzusteigen, System?
Der Vater des inkonsequenten Kicks wird innerhalb des Vereins schlicht „Papa“ genannt. Nicht offiziell, aber Heinz Weisener, Präsident des FC St. Pauli, ist der gute Finanzgeist am Rande des Hamburger Kiezes. Als er kürzlich nach einer schweren Krebsoperation wieder an die Öffentlichkeit trat, erklärte er, der momentan allein für die zwölf Millionen Mark Schulden des Klubs geradesteht, seinem FC St. Pauli die Miesen zu erlassen, wenn er mal nicht mehr einspringen könne. Einzige Gegenleistung: Auf sechs Jahre soll der Verein seinen Namen an eine Marketingfirma abtreten.
Es war natürlich nur eine Floskel. Denn der vor einem Jahr von Heinz Weisener zwecks Fundraising ins Leben gerufene Fonds, der Gelder für den FC St. Pauli auftreiben sollte, scheiterte im Januar – der Millerntorverein hat zwar einen legendären Ruf, aber keinen, der solventen Kunden die Scheckbücher öffnet. Nur wenige hunderttausend Mark kamen zusammen – ein Bruchteil dessen, was die Paulianer, meist an sich selbst besoffen, einzunehmen hofften.
Die Geste des Präsidenten hatte Signalwirkung: Warum sollen wir uns schinden, wenn Papa Heinz sowieso alles ausgleicht. Was die Jahresmitgliederversammlung am kommenden Mittwoch zeigen wird, sind nur schöne Zahlen. Man hofft von seiten des Präsidiums, daß die Mannschaft montags zuvor beim 1. FC Nürnberg gewonnen hat – so gestimmt, hat bislang noch jedes Millerntorgemüt alles abgesegnet, was die Chefs wollen. Es wird also keine Diskussion geben über Spieler, die lieber in der zweiten Bundesliga bleiben wollen, weil ihnen hier höhere Gagen gezahlt werden als selbst bei einigen Erstligisten.
Die echte Bundesliga würde für Mannen wie Dieter Schlindwein, Detlev Dammann, Andre Trulsen oder Carsten Pröpper entweder schwere Schinderei oder die Gewißheit, nicht mithalten zu können, bedeuten – verlustig gingen ihnen die Punktprämien. Eine spielerische Überraschung wie durch den SC Freiburg, das weiß hier jeder, ist sowieso unmöglich. Außerdem fehlt es an den nötigen Vereinsstrukturen. Zwar hat der Klub mittlerweile die städtische Genehmigung, sein Stadion ausbauen zu dürfen. Ob es aber in die Tat umgesetzt wird, steht dahin: Alle Jahre wieder wurde angekündigt, die Spielstätte mit dem gewissen Trümmerflair ein wenig zu modernisieren – es waren immer nur hohle Worte.
Woran es dem Verein und seinen Fans fehlt, ist der Hunger nach Ruhm und Glorie: Auch von Blättern wie der taz immer wieder als politisch korrekt aufs Schild gehoben, waren sie ausgewiesen als die echten Fußballer unter lauter Angestelltenkickern. So schön wird es nie mehr: Seit Wochen kümmert sich das Gros der Millerntorprofis um Freikarten für die Tennismeisterschaften am Hamburger Rothenbaum – kein bißchen ist die Rede von Aufstieg, von Kampf und Zerknirschung, schon wieder eine Chance wie gegen Hannover 96 versiebt zu haben. Der Verein stieg innerlich längst ab, als Heinz Weisener 1990 im Frühjahr nach dubiosen Finanzverstrickungen seines Vorgängers Otto Paulick sich zum Patriarchen des Klubs wählen ließ: Das war doch was – CDU-Mitglied, wohlhabender Baukaufmann als Chef des Rotlichtvereins.
Da war der FC St. Pauli schon kein Teil der politischen Bewegung mehr, als den ihn autonome Kämpfer im Überschwang gelegentlich mißverstanden. Hobbysandinisto Volker Ippig stand zwar noch im Tor, damals, im Aufstiegsjahr 1987/88: Doch man verzieh ihm später seine Hauseigentümerinteressen – schließlich war man moralisch allemal im Recht. Und war nicht auch die Hafenstraße derweil zum alternativen Siedlungsprojekt von Bürgermeisters Gnaden mutiert?
Was mittlerweile zum Kader gehört, ist Mittelmaß. Für einen Prominenten hält sich schon Dieter „Goldkette“ Schlindwein, der einst von Eintracht Frankfurt ausgemustert wurde. Allesamt geht ihnen der letzte Rest Enthusiasmus ab, mal wieder eine „Paadie“ zu feiern. Aber die tollen Zeiten in Hamburg werden immerhin denkmalgeschützt wieder auferstehen. Denn auch wenn der Aufstieg mißlingt, wird doch das erweiterte Stadion Heinz-Weisener-Stadion heißen: Papa Heinz, bescheiden, wie er ist, ist dies natürlich peinlich. Aber er sollte sich nicht zieren: Der Name erinnert daran, wie es war, als der FC St. Pauli seine besten Zeiten schon hinter sich hatte.
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