: Ein Schock für Blumenfreunde
■ Was den Zuschauer wirklich bewegt, schreibt er seiner Programmzeitschrift. Zum Beispiel dem "Gong"
Erhaben sind die Ansprüche und groß an der Zahl, wenn hochmögende Gelehrte und schwer denkende Herrschaften sich dem Fernsehen und somit der niedrigsten aller Vergnügungen zuwenden. Nicht immer aber stimmen die Darlegungen der emsigen Aufklärer überein mit dem, was die Menschen vor den Mattscheiben wirklich bekümmert.
Aufschluß darüber geben die Leserbriefseiten der Programmzeitschriften. Anhand der Zu- schriften an die ehrwürdige TV-Illustrierte Gong beispielsweise lassen sich für die vergangenen zwölf Monate fünf zentrale Themen ausmachen: Margarethe Schreinemakers nuschelt, die Serie „Raumschiff Enterprise“ wird unentwegt verschandelt, Wolfgang Lippert kann es niemandem recht machen, zu häufig werden TV-Dialoge von Musik und Geräuschen übertönt, in zunehmendem Maße agieren deutsche Schauspieler in scham- und kleiderordnungsverletzender, kurzum unzüchtiger Manier.
So empört sich Theresia Scheugenpflug aus Sinzing über „Lippes Lachmix“: „Müssen wir bei ARD jetzt auch noch pudelnackte Männer anschauen, die sich von vorne und hinten dem Publikum präsentieren? Reicht es nicht, wenn Frauen immer weniger angezogen ihre Szenen spielen und bald in jeder Sendung, egal, ob um 18.00 Uhr oder später?“
Mit einem konstruktiven Vorschlag lenkt Frau Middelmann aus Bad Nauheim die Debatte wieder in sachliche Bahnen: „Vielleicht könnte man in Zukunft die Filme bzw. Serien mit einem roten Punkt kennzeichnen, die nicht mit Bettszenen beginnen oder nackte Männer zeigen bzw. womöglich ohne Sex-Darstellungen auskommen.“
Ein Schock ganz anderer Art erwartete Helga Bernhard aus Konstanz, als sie sich bei der Programmwahl für die Serie „Blankenese“ entschied: „Wer ist eigentlich dafür verantwortlich? In jedem Film und Fernsehspiel werden eben noch liebevoll überreichte und beglückt empfangene Blumen in die nächstbeste Vase geknallt, ohne daß Wasser darin ist oder eingefüllt wurde. Ein Schock für jede Frau und alle Blumen- freunde!“ – Nicht minder geschockt war F. Mahrings angesichts der „Goldmillion“: „Wie kann sich ein junger Mann wie Lippert seinen Zuschauern in so einer lächerlichen Position zeigen? Im Sessel sitzend, mit 6 Kissen unter dem Bein, durch den Raum tragen lassen! Wenn das ein 90jähriger nach einer Schenkelhalsfraktur machen würde, könnte ich das noch verstehen.“
Daß Lippert sich ausgerechnet von sechs Kissen stützen ließ, dürfte auch Gerhard S. Jäger aufgeschreckt haben. Der nämlich äußerte schon an anderer Stelle seine tiefe Besorgnis über okkulte Tendenzen beim ZDF: „Tief getroffen war ich, als ,Stan‘ (Max Tidof) seinen Sturzhelm aufsetzte. Da stand groß und breit die Nr. 666. Nun weiß ich nicht, unter welchem Gesichtspunkt diese Nummer auf dem Helm angebracht worden ist. Eines weiß ich aber gewiß, es ist dies die Zahl des ,Antichristen‘, des Gegenspielers von Jesus Christus. Alle Buchstaben im Hebräischen und im Griechischen haben einen Stellenwert. Gemäß dessen ergibt sich aus einem Namen eine Quersumme. Diese Summe 666 ist das Synonym für den Widersacher Jesu Christi (Offenbarung des Johannes, Kp. 13, 11–18). Hier wird also bewußt oder unbewußt Satanskult betrieben.“
Nur ein Geringes verlangt der Durchschnittsseher, aber doch ein klein wenig Rücksichtnahme auf Minderheiten. So moniert Freddy Wagner die arbeiterfeindliche Programmplanung: „Es ist eine Unsitte von ARD, ZDF und anderen, wenn am Freitagabend und Samstagabend Serienteile laufen, die ein Schichtarbeiter nicht sehen kann. Der hat doch keine Ahnung von dem, was die spielen.“
Bruno Grund-Beils Kritik könnte allerdings die Schichtarbeiter beruhigen: „Der Freitags- Krimi, beim ZDF bisher durchwegs auf gutem Niveau, ist für meine Frau seit Jahren ein begehrter Anlaß, nach einer arbeitsreichen Woche auszuspannen. Leider sind wir beide der Ansicht, daß die neue Serie ,Faust‘ nicht dem entspricht, was ein guter Krimi bieten sollte. Außer Regie-Schwächen halten wir die übertriebene Einflechtung von Sex-Szenen auch hinsichtlich der Sendezeit für widerlich und keinesfalls angebracht.“
Einen ähnlichen Befund lieferte der versierte Vielschreiber Ewald Kucznierz zu „Stunde der Füchse“: „Von den guten Schauspielerleistungen abgesehen, war das Ganze eine infame Darstellung hinterhältiger Parteiintrigen und war wohl auf den bevorstehenden Wahlkampf gezielt. Damit ist keinem gedient. Die widerlichen Sexszenen darin paßten wie die Faust aufs Auge.“
Das Schlußwort gebührt ohne Frage A. Blumer, der in einem verzweifelten Aufschrei den Gefühlen allseits gepeinigter Fernsehzuschauer Ausdruck verlieh: „Man möchte schreien: Aufhören! Doch es hört einem ja niemand zu, und man macht munter und unbekümmert weiter. Produziert man absichtlich am Publikum vorbei?“ Harald Keller
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