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Ich bin kein Fan von Fahnen

■ Alles eine Frage der Geschwindigkeit: Der amerikanische Zeichen-Künstler Matt Mullican zeigt seine Flaggen in Berlin

In der Kuppel am Berliner S- Bahnhof Alexanderplatz hängen neun überdimensionale Banner, in der Neuen Nationalgalerie verdecken neun weitere Fahnen die gesamte Glasfront. Mächtige, gewaltige Flaggen in Grün, Gelb, Rot, Blau und Schwarz, mit piktografischen Signets von Köpfen und Weltkugeln versehen. Die Autos fahren langsamer am Museum vorbei, die Menschen am Bahnhof staunen: Ist das schon Christo?

Matt Mullican, derzeit daad-Stipendiat, beschäftigt sich seit den siebziger Jahren mit der Entwicklung von umgreifenden Codes. Dabei verweist, wie in jeder guten Theorie, jedes Zeichen auf ein anderes: Der Kopf mit ausgeweißter Fläche bedeutet Subjekt, drei Kuller in einer Art Vase stehen für dessen Schicksal, das allerdings nur als Untergruppe auftritt. Mullican nennt sein System Kosmologie, weil es die ganze Welt in Zeichen übersetzt. Kunst, die ihre eigenen seltsamen Ordnungen erzeugt und gleichwohl von Kommunikation handelt. Entsprechend ist ein Großteil der Arbeiten des 1951 in Santa Monica geborenen Kaliforniers für den öffentlichen Raum gemacht.

taz: Warum haben Sie Flaggen in die Neue Nationalgalerie gehängt?

Matt Mullican: Mich hat der Bau interessiert. Das gläserne Haus ist eine wesentliche Errungenschaft moderner Architektur. Nirgendwo findet sich ein besseres Beispiel für dieses Ideal als in Berlin mit dem Mies-van-der-Rohe- Bau. Das von Philip Johnson gebaute Museum of Modern Art mag ebenso berühmt sein, aber dieser Bau hier ist perfekt.

Die Fahnen hängen im Museum, dazu gibt es noch ebenso überdimensionale Banner am Alexanderplatz. Warum arbeiten Sie gezielt im öffentlichen Raum?

Es kommt daher, daß ich Begrenzungen als Herausforderung ansehe. Es ist eine Frage von Individualität, sozialem Setting und dem Standpunkt, den man mit seiner Kunst innerhalb des Gesellschaftsgefüges einnimmt. Für mich sind die dabei entstehenden Spannungen interessant: Was bedeutet diese Kunst für die anderen? Woher wissen sie, daß es Kunst ist? Und warum sollte es in dieser Situation überhaupt Kunst sein? Ein Großteil meiner Arbeiten für den öffentlichen Raum sind nicht auf den Kunstkontext angewiesen, so wie etwa die Granitplatten, die eher zur Architektur gehören. Man kann mich ruhig für einen Architekten oder Designer halten. Sicher, dabei entstehen auch Probleme, wie mit den Bannern auf dem S-Bahnhof Alexanderplatz. Eine Frau fragte mich, warum alles so ungeheuer christlich wäre. Sie dachte, ich hätte den Bahnhof in eine Kathedrale verwandeln wollen. Also antwortete ich ihr, daß Symbole für Götter, Teufel und Engel in allen Kulturen existieren. Am Ende mußte ich mich und meine Arbeit gegen ihre religiösen Projektionen verteidigen.

Das Problem sind nicht Ikonen, sondern es ist der Universalismus, mit dem Sie Codes einsetzen. Sie benutzen die Zeichen überall auf der Welt: im Stadtpark von Antwerpen, auf der Hamburger Medienmesse, in São Paulo oder eben in der Berliner Nationalgalerie.

Oder in einem Bahnhof. Gerade die Banner und Fahnen haben allerdings von Ort zu Ort eine völlig unterschiedliche Ausstrahlung, was an den verschiedenen Formen von Öffentlichkeit liegt.

Versuchen Sie damit nicht auch, dem gerecht zu werden, was gerade aktuell ist? In den achtziger Jahren waren es wilde Kommunikationsstrategien – und heute sind es eben multikulturell verknüpfbare Codes?

Ich glaube, bei den Fahnen dreht sich alles um die Geschwindigkeit, den Speed. Frank Stella hat einmal gesagt, er wolle extrem schnelle Bilder malen; Bilder, die innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde verstanden werden können – „what you see is what you get“. Nun, Banner sind schneller als Bilder. Jeder versteht die Botschaft, egal aus welchem Kontext er kommt.

Die Geschwindigkeit führt ebensoschnell zu Mißverständnissen. Vor dem Museum of Contemporary Art in Los Angeles wurden die Banner aufgeschlitzt, weil man sie für faschistisch hielt. Am Alexanderplatz fühlten sich Betrachter durch die Farbkombination von Schwarz auf Rot im weißen Kreis an das Hakenkreuz erinnert.

Ich weiß nicht, ob das Attentat mit den Farben zu tun hatte. Ein möglicher Grund wäre es auch gewesen, daß die Banner vor einem Museum hingen. Das Gebäude ist selbst ein Zeichen für etwas, nämlich für Leute mit Geld, und gleichzeitig steht das MOCA nicht gerade in einem wohlhabenden Viertel. Ich denke nicht, daß ich so wichtig bin, daß jemand auf mich einschlitzt, aber das Museum ist es.

Ist es nicht eine zwiespältige Angelegenheit, auf der einen Seite von Speed und Affekten zu reden, während das Ganze auf ein übergeordnetes System abzielt, das Sie selbst als Kosmologie bezeichnen?

Ich kein großer Fan von Fahnen. Die ganze Sache mit der amerikanischen Flagge, ob du sie nun verbrennst oder aus Nationalstolz am Revers trägst, interessiert mich nicht. Was ich vielmehr sehe, ist die Reduktion, besonders im Bereich von Medien und Politik. Dort gibt es nur noch Schnipsel, einzelne Sätze, die ständig wiederholt werden. Das nennt man dann eine Kampagne, die Leute dazu bewegt, zu wählen. Ich halte das für gefährlich, weil hier kein Inhalt mehr transportiert wird.

Aber Sie selbst haben maßgeblich an einer Ästhetik der Informationsgesellschaft mitgearbeitet?

Wie gesagt, ich war Teil dieser Entwicklung. In den Mittachtzigern wurde ich zu Ausstellungen wie „The Forest of Signs“ eingeladen oder zu der „Neue-Geometrie“-Show von Zdenek Felix. Daraufhin habe ich eine Arbeit gezeigt, die kaum noch etwas mit Geometrie zu tun hatte: Frottagen als erste Form von Medien. In Hamburg war ich bei „Neue Medien“ ebenso vertreten wie Marina Abramovic mit ihren Schuhkristallen auch oder Nam June Paiks gewaltige TV-Wand aus 500 Fernsehern. Also zeigte ich ein Video von mir unter Hypnose. Das alles sind Kunstausstellungen, das ist mein Kontext. Wenn ich mich für virtuelle Landschaften interessiere, dann weil meine frühen Performances mit Psychologie beschäftigt waren und mit dem, was passiert, wenn man ein Bild betritt.

Als Künstler haben Sie gelernt, Kommunikation als etwas anzusehen, das sich entwickelt, etabliert und verschwindet. So wie die Xerox-Philosophie: Heute macht niemand mehr großes Aufheben um den Fotokopierer als Medium.

David Hockney dachte damals sogar, daß man mit Fotokopien eine neue Kunstform entwickeln konnte. Ich selbst habe in den frühen siebziger Jahren mit Kopierern experimentiert.

Der Punkt ist: War es wegen des technischen Aspekts oder wegen der neuen Art zu kommunzieren?

Das hängt davon ab, wie man sich in Beziehung zur Technologie sieht. Wenn du damals in einer Bibliothek auf ein neues High-Tech- Gerät getroffen bist, das beschissene Kopien machte – das war doch immerhin etwas. Ich meine, sie waren wunderschön, nur sahen sie eben nicht nach dem aus, was du kopiert hattest. Die Probleme mit der Maschine sind offensichtlich, deshalb benutze ich sie. Jetzt haben wir Virtual Reality, was in Wirklichkeit auf dem Telefon basiert. Wir simulieren unsere Welt über Telefon, wir simulieren auch unsere Stimme mit dem Apparat, wenn wir reden. Das passiert schon seit achtzig Jahren. Eine Person wie Andy Warhol konnte allein über das Telefon leben, auch wenn es die am wenigsten glamouröse Maschine der Welt war.

Trotzdem arbeiten Sie nicht mit dem Telefon, sondern mit einer Vielzahl von Medien.

Die Vielfalt repräsentiert meine Arbeit, aber sie beweist nichts. Es ist eine Beziehung zwischen Inhalten und sogenannten Objekten. Dann hängen die grünen Fahnen mit ihrer Bedeutung auf der linken Seite und die schwarzen rechts. Daraus entsteht Energie, die die Arbeit erst in Bewegung setzt. So habe ich ein Video gedreht und dann aus der Erinnerung an eine bestimmte Szene Frottagen, Skulpturen oder Computergrafiken angefertigt. Das Material verändert sich, die Szene wird auf drastische Weise übersetzt. Aber die Verbindung vom Original zu den vielen Formen besteht nur im Weg dazwischen. Wenn man diese Situation mit der am Alexanderplatz vergleicht: Ich benutze häufig Bahnhöfe, um damit Punkte innerhalb von Diskursen festzulegen. Sie stellen Wege zwischen uns selbst und den Stationen dar, zu denen wir auf diesen Wegen werden. Das ist vielleicht ein wenig abstrakt und vereinfacht. Jedenfalls hatte man mir den Bahnhof für eine Arbeit angeboten hatte, und ich mag die Idee, Fahnen über dem Bahnsteig aufzuhängen. Es ist ein Ort, wo die Menschen nicht in der Stimmung sind, sich länger mit etwas zu beschäftigen. Wieder handelt es sich darum, in diesem Kontext nicht besonders detaillierte Dinge zu zeigen.

Es klingt, als seien Sie an Information nur ganz allgemein interessiert, nicht so sehr an den spezifischen Feinheiten, aus denen letztendlich Kommunikation besteht.

Wenn jemand die Banner über sich hängen sieht, kann er sie lieben oder hassen. Auch ein sehr simples Verständnis der Arbeit ist eines. Sie sind rot, schwarz und weiß, sie könnten etwas Politisches bedeuten, gleichfalls sehen sie aus wie Werbedesign. Es mag an meiner Siebziger-Jahre-Herkunft liegen: Ich denke, man muß nicht jeden Aspekt kennen, um eine Arbeit zu verstehen.

Ein bißchen größenwahnsinnig ist die Idee der Kosmologie schon.

Aber nein, es ist genau wie im Leben. Wir machen uns von allem ein Bild. Besonders Kinder tun das. Meine Arbeit sieht ja auch etwas kindlich aus, gerade was ihr Thema angeht. Kinder schaffen sich ihre eigene Welt, in der die Dinge in viel größeren Dimensionen wiederauftauchen. Das muß nichts bedeuten, die Leute können auch darüber lachen, daß in meiner Arbeit Gott und der Teufel erscheinen. Mir geht es nicht um Realität, ich möchte nicht, daß meine Kosmologie als Wirklichkeit genommen wird. Aber dennoch kann ich mit meinen Systemen Städte errichten, ohne Architekt zu sein. Ich beschreibe eine Beziehung zur Kosmologie.

Und in dieser Kosmologie ist dann Platz für alle Projektionen?

Vielleicht bin ich zu postmodern. Ich vergleichgültige alles. Mein Himmel ist ohne Moral, meine Hölle weder schlecht noch böse. Es gibt nur den Körper und den Geist, das ist schon alles. Mal entsprichst du dem einen, mal dem anderen Teil. Ich bin Körper und zugleich die Idee von dem, was ich in oder mit diesem Körper bin. Sehen Sie, dieser Arm ist mein Arm. Wenn ich ihn abhacke, dann ist es immer noch mein Arm, aber er ist etwas anderes als mein Körper.

Interview: Harald Fricke

Die Fahnen von Matt Mullican sind bis zum 16. Juli in der Neuen Berliner Nationalgalerie und bis zum 31. Mai auf dem S-Bahnhof Alexanderplatz zu sehen.

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