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Die Freiheit und das Recht in einer Demokratie

■ betr.: „Mit Platzverweis gegen Ge denken“, taz vom 25. 4. 95

Sieben jungen Antifaschisten aus Berlin, Halle und Bitterfeld wurde die Teilnahme an der Veranstaltung zum 50. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen verwehrt. Einige von ihnen waren in den letzten Jahren dabei, als in kleinerem Kreis und mit weniger Politikern der Befreiung Sachsenhausens durch sowjetische Truppen und der Toten des Konzentrationslagers gedacht wurde. Sie hatten in den letzten Jahren in ihren Ferien im Sommer in einem Workcamp in Buchenwald gearbeitet, um das Konzentrationslager vor dem weiteren Zerfall zu bewahren.

[...] Während Frau Limbach auf dem früheren Appellplatz in so eindrücklichen Worten die Lehren der Geschichte einforderte und über die Freiheit und das Recht in einer Demokratie redete, andere Redner an diesem Tag zu mehr Zivilcourage gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit aufriefen, saßen sieben junge Antifaschisten – zwei von ihnen waren erst 16 beziehungsweise 17 Jahre – in einem Oranienburger Polizeirevier und wurden erkennungsdienstlich überprüft.

Erst als Pfarrer Werner Liedtke aus Germendorf und ich mit Freunden der Verhafteten erschienen und die sofortige Freilassung forderten, kamen nach vier Stunden die jungen Antifaschisten frei. Der Einsatzleiter fand keine Zeit zu einem von uns geforderten Gespräch. Ein Polizeibeamter versuchte sich in Erklärungen über die „sensible“ Sicherheitslage und die „Brisanz“ dieser Gedenkveranstaltung. In einem internen Telefongespräch des Polizeibeamten mit dem Einsatzleiter tauchte in der polizeilichen Sprachregelung der Begriff von einer notwendigen „Selektion“ im Rahmen befohlener „Maßnahmen“ auf. Im Beamtendeutsch überdauern mit der Ermordung von Millionen Menschen verbundene Begriffe aus der NS- Zeit. Mit der Sprache beginnt die Gewalt, der alltägliche Faschismus ist für mich in Deutschland noch lange nicht überwunden. Es bleibt noch viel zu tun, auch 50 Jahre danach!

Ich sehe die Diskriminierung und Kriminalisierung junger Antifaschisten als rechtswidrig und als eine Gefahr für die an diesem Sonntag so oft beschworene Demokratie an. Die Handlungen der Polizisten standen in einem eklatanten Gegensatz zu den Reden der Politiker an diesem Tag. Die Jugendlichen haben die Reden nicht gehört. Sie werden sie auch nicht lesen. Sie haben eine andere Realität erlebt. Hans Coppi, Sprecher des

Bundes der Antifaschisten

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