: Für den Einsatz in der Kneipe
In Berlin boomen asiatische Kampfsportarten in allen exotischen Varianten / Statt traditioneller Werte sind gefährlich klingende Sportarten gefragt ■ Von Peter Lerch
Es riecht nach Käsequanten, Gummimatten und schalem Schweiß. Mit einem markerschütternden „Usch!“ stoßen die weiß gekleideten Männer die Fäuste nach vorne und schlagen Löcher in die muffige Hallenluft.
Was auf den unbedarften Zuschauer wie irre wirken muß, ist eine ganz normale Unterrichtsstunde in Kyokushinkay-Karate. Jürgen, der 32jährige Ausbilder, zischt ein Kommando, das von seinen Schülern sofort in einen Mae- geri (Vorwärts-Fußstoß) umgesetzt wird. Ein anderer Befehl und schon werfen sich die Karate- Lehrlinge auf den mit Matten ausgelegten Hallenboden und beginnen Liegestützen zu pumpen. Kyokushinkay-Karate ist nur eine von fünf Formen japanischen Beinhebens und unterscheidet sich von Shotokan, Wadu-Riu, Fudokan und Goju-Riu dadurch, daß es eine sehr wettkampfbezogene Variante ist. Im Unterschied zu den anderen Stilrichtungen werden bei Wettkämpfen die Techniken nicht bloß angedeutet oder als Halbkontakt ausgeführt. Punktwertung gibt es so gut wie gar nicht und die Kämpfe werden gewöhnlich durch k.o. beendet. Die Regeln sind einfach: Handtechniken dürfen nur zum Körper des Gegners geschlagen werden. Tritte zum Kopf sind erlaubt. Doch bei gleichwertigen Gegnern sind derart „hohe Techniken“ kaum durchführbar, erklärt Jürgen, der einen Schwarzen Gürtel hat.
Einigen Kampfsportfreunden in den USA war das zu langweilig. Anfang der siebziger Jahre begannen sie das herkömmliche Karate zu modifizieren, indem sie sich Boxhandschuhe anzogen, die wichtigsten Weichteile schützten und fortan dem Boxen vergleichbare Wettkämpfe durchführten. Das Full-Kontakt-Karate war geboren. Bald stellte sich heraus, daß sich klassische Boxtechniken für den Zweikampf besser bewährten als die Handtechniken aus dem Karate. Man kombinierte Boxtechniken und Karate-Tritte zu einer neuen, wettkampforientierten Sportart, die man Kick-Boxen nannte und die unter Insidern als optimale Kampfmethode gilt.
Doch seitdem schießen die exotischsten Kampfsportderivate aus dem Boden. Ob Ninjutsu, bei dem die Anhänger schwarz vermummt im Grunewald mit Samuraischwertern hantieren und schon mal mit asiatischen Wurfsternen das lautlose Killen üben, oder Thai-Boxen, das in Deutschland als Wettkampfsport verboten ist, bis hin zu Anti- Terrorkampf (ATK)/Streetfighting. „Der Trend geht zu Kampfsportarten, die sich gefährlich anhören“, sagt Jürgen, der unter anderem in Reinickendorf unterrichtet. „Unsinn ist im Kampfsport weitverbreitet“, erklärt der 32jährige Sportstudent und Karatelehrer. „Sachen wie ATK kannst du nur in der Kneipe testen“, kritisiert er den Boom immer neuer, fragwürdiger Kampfsportarten.
„Wenn ich einen sehe, der Lust an Brutalität hat, schmeiße ich ihn raus“, behauptet Norbert, Chef des Kreuzberger „Sportstudio Earth“ und wendet sich dann wieder seinen vier Schülern zu, um ihnen zu zeigen, wie man potentiellen Angreifern in die Eier haut, ihnen den Arm bricht und anschließend ins Gesicht tritt, beziehungsweise mit zwei Fingern den Schluckknorpel zermalmt. „Wenn euch einer würgt, dann ist in drei bis fünf Sekunden das Licht aus – also keine falsche Rücksicht“, ermuntert er seine Schüler. Selbstverteidigung auf der Basis von des All-Style-Karate nennt sich das ganze. Zwar taucht All-Style-Karate nicht auf der Liste des rund sechzig Mitgliedsvereine umfassenden Berliner Karateverbandes auf, aber dafür ist es effizient. Und schnell zu lernen, wie Norbert sagt. Der durchtrainierte Hühne hat zwei Meistergrade (Dan) im traditionellen Karate, schwört aber persönlich auf Kick-Boxen. Früher hat er selbst auf Meisterschaften als Kick-Boxer gekämpft.
Norbert bietet in seiner Schule neben All-Style-Karate, Boxen, Kickboxen und europäischem Thai-Boxen auch Streetfighting an. „Der Mode wegen“, sagt Norbert und erklärt, daß die Leute ihm seit dem gleichnamigen Film von Jean-Claude van Damme die Bude einrennen. Die Straßenkämpfer werden von zwei Polizisten trainiert. Die sechs Teilnehmer in gelben T-Shirts und schwarzen Hosen fangen an sich warm zu machen. Dann gehts zur Sache: Kopfstoß gegen einen fiktiven Gegner mit rechts-links Aufwärtshaken-Kombination. Dann Partnerübungen: Griff in die Haare, Ellbogenschlag und Kniestöße. „In die Nieren, ist ja wohl klar!“, schreit der Trainer und zeigt seinen Schülern, wie man es richtig macht. Eine weitere Übung besteht darin, dem Gegner ins Gesicht zu greifen, einen sogenannten low-kick („schmerzt garantiert 14 Tage“) zu verpassen und ihm dann den Kopf rumzudrehen, bis er seine Rückenhaare zählen kann oder um die eigene Achse gedreht auf dem Boden landet. Wer unbedingt lernen will, wie man einen potentiellen Gegner mit bloßen Händen umbringen kann, ist beim Streetfighting garantiert richtig.
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