: Nawrocki bringt die S-Bahn in Fahrt
■ Der Geschäftsführer der S-Bahn GmbH verwirrt mit Privatisierungsvorschlägen / Zentrale: „Mißinterpretation“
Am Ende dieser Woche war es angeblich nur noch ein Mißverständnis, eine „Mißinterpretation“, wie die Pressestelle der Deutschen Bahn AG in Frankfurt am Main versicherte. Dabei hatte der Geschäftsführer der Berliner S-Bahn GmbH, Axel Nawrocki, Ende letzter Woche in einem Interviev mit dem Radiosender Hundert,6 noch klare Worte zur Zukunft des Berliner Nahverkehrs gefunden. Angesichts der gekürzten Investitionsmittel für den Ausbau des Berliner S-Bahn-Netzes sei er für eine Ausgliederung ganzer Aufgabenbereiche an private Träger. Es gebe ausreichend „internationale Developer“, die ihr Interesse bekundet hätten, das Eigentum der S-Bahn könne dabei als „dingliche Sicherung“ dienen.
Die Äußerungen des Ex-Geschäftsführers der Olympia GmbH, der nach der Pleite Berlins mit dem hochdotierten Posten bei der Tochter der Deutschen Bahn AG abgefunden worden war, löste in der Konzernzentrale in Frankfurt Verwirrung aus. Nawrocki selbst wurde kurzerhand um Aufklärung gebeten. Während des telefonischen Gespräches habe der S-Bahn-Geschäftsführer „klargestellt“, so die DB-Pressesprecherin Christine Geißler-Schmidt gegenüber der taz, daß es „lediglich darum geht, durch private Investoren die Bahnhöfe besser zu vermarkten, beispielsweise durch die Verpachtung oder Vermietung an Ladenbesitzer“.
Hatte Nawrocki seine Sätze also ohne Absprache nur so dahingeplappert? Oder ließ er einfach einen Versuchsballon steigen? Immerhin klafft bei der Finanzierung der Berliner S-Bahn eine Lücke von 1,37 Milliarden Mark. Sollte das Geld nicht aufgebracht werden, könnten mehrere Umlandanbindungen nicht wiederhergestellt werden. Ursprünglich hatte der Bund vor zwei Jahren für die Wiederherstellung des S-Bahn-Netzes und die Anschaffung neuer Wagen 8,9 Milliarden Mark zugesichert. Doch während der Verhandlungen zwischen dem Bundesverkehrsministerium, der Deutschen Bahn AG, den Ländern Berlin und Brandenburg schmolz die Summe dahin. Beispiel Nr. 1: Für die Anschaffung neuer Wagen will Bonn statt 2,6 Milliarden nur noch 470 Millionen Mark für 1996/97 zahlen. Die Restsumme soll die Deutsche Bahn AG bis zum Jahr 2005 aufbringen. Im Klartext: die Erneuerung des zum Teil 60 Jahre alten Fuhrparks wird wohl gestreckt werden müssen. Beispiel Nr. 2: Zur Wiederherstellung des S-Bahn- Streckennetzes waren einst zwischen dem Bund und Berlin 6,3 Milliarden Mark verabredet worden. Nun sind noch 4,95 Milliarden Mark im Gespräch, von denen der Bund 3,58 Milliarden übernehmen will. Es bleibt also eine Lücke von 1,37 Milliarden Mark, die derzeit „Gegenstand permanenter Besprechungstermine“ sind, wie die Sprecherin der Deutschen Bahn AG in Berlin, Irene Liebau, erklärt. Zwischen der Finanzlage und Nawrockis Äußerungen sei ein Zusammenhang hergestellt worden, den es schlichtweg nicht gebe. Wie in Frankfurt, so also auch in Berlin: Am Ende also nur ein großes Mißverständnis? Severin Weiland
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