: Wenn Türken zu Schwaben werden
■ Eine denkwürdige CDU-Diskussion über kulturelle Gräben
Bonn (taz) – Eduard Lintner war verwirrt, und wer sollte es ihm verdenken: „Reform des Staatsangehörigkeitsrechts“ hieß die Veranstaltung, zu der der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium vom christdemokratischen Parteinachwuchs, der Jungen Union, eingeladen worden war. Aber was ist das für ein Nachwuchs: Eine junge deutsche Christdemokratin mit griechischem Namen, Ariadne Joakimidis, hält das Einführungsreferat. Michel Friedman, der deutsche Jude mit den polnischen Eltern und dem Sitz im CDU-Vorstand, polemisiert gegen den Parteifreund Lintner und die Staatsbürgerschaftspolitik von dessen Minister Kanther.
Und dann sitzt da noch dieser stets freundliche württembergische Bundestagsabgeordnete mit dem türkischen Namen, der Grüne Cem Özdemir, Mitglied des Bundestages. Lintner ergreift das Wort: „Ihre Landsleute...“, wendet er sich an Özdemir. Der fällt ihm lächelnd ins Wort, während er eine fast väterliche Umarmung des zwanzig Jahre älteren Bayern andeutet: „Sie sind mein Landsmann, Herr Lintner!“
Die Szene auf dem Podium beleuchtet mehr als viele wohlmeinende Zeitungsartikel, worum es bei einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland geht. Das deutsche Staatsvolk, so wie es sich auf dieser Veranstaltung präsentiert, ist bunter, als in den Fiktionen dieses Rechts vorgesehen. Die Homogenität dieses Staatsvolks hat nicht erst durch die Nachkriegs-Einwanderung Risse bekommen.
Özdemir, vor fast dreißig Jahren nahe der Schwäbischen Alb geboren, verweist ironisch auf den bayerischen Innenminister: „Ich habe gestern Herrn Beckstein erlebt. Zwischen ihm und uns sind wirklich kulturelle Gräben. Aber deswegen verlangen wir noch keinen anderen Paß für Herrn Beckstein.“ Zwischen den Unions-Parteifreunden, dem wie stets modischen Großstadtmenschen Friedman und Lintner, dem Bonner Staatssekretär im gedeckten Büro- Anzug, wird bei dieser Diskussion ein noch viel erstaunlicherer Kultur-Graben sichtbar.
Die Argumente, die zwischen den KontrahentInnen ausgetauscht werden, die Ängste, die die Vertreter der CDU-Linie beschwören, sind alle nicht brandneu: Lintner und der CDU-Innenpolitiker Meinrad Belle sprechen von den Loyalitätskonflikten der Staatsbürger, die mehr als nur einen einzigen Paß haben, verweisen auf die Überfremdungsangst, „die es in jedem Volk gibt“ (Lintner) und der man durch eine restriktive Staatsbürgerschaftspolitik „den Wind aus den Segeln“ nehmen müsse. Die Ausländerbeauftragte Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) hält dagegen: Die Staatsbürgerschaftsdebatte werde im „Geist des Mißtrauens“ geführt.
Staatssekretär Lintner zieht noch einen Pfeil aus dem Köcher: Was denn heute wohl wäre, wenn man alle jugoslawischen Gastarbeiter vor Jahren eingebürgert hätte? Dann kämpften heute dort Leute, die sich, wenn ihnen der Boden zu heiß werde, kurzerhand ihrer deutschen Staatsbürgerschaft erinnern und etwa nach München zurückkehren könnten! Michel Friedman bedankt sich beim „Herrn Staatssekretär“ mit beißender Ironie: „Nach diesem Argument, das ich bisher noch nicht gehört habe, werde ich mich in der Staatsbürgerschaftsdebatte völlig neu positionieren müssen.“ Andrea Dernbach
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