piwik no script img

„Lauter kleine Gurus“

■ Helmut Langel, Sektenbeauftragter der BEK, über „destruktive Kulte“ in Bremen

Auf fünf Seiten beantwortete kürzlich der Senat eine Anfrage der CDU-Fraktion zu „destruktiven Kulten“ in Bremen. Pastor Helmut Langel, Sektenbauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche, wurde bei der Antwort zu Rate gezogen.

Ist Bremen ein Sektenmekka?

Nein. In Berlin, Hamburg, Frankfurt oder München treten wesentlich mehr Gruppierungen an, aber Bremen ist eine der Städte, in der sich relativ viel tut. Hier befindet sich ein Markt, auf dem diese Gruppierungen gut absahnen können.

Wie unterscheiden Sie eine Sekte von einer Glaubensgemeinschaft?

Das ist sehr schwierig. Ich bin allerdings kein Freund des Begriffs Sekte, der eine rein negative Bedeutung hat. Im Altertum war der Begriff ein sehr neutraler und bezeichnete eine Glaubensrichtung, wie die Christen. Die Großkirche hat dann den Begriff kriminalisiert und Sektierer systematisch verfolgt. Heute muß man bei der Betrachtung der großen Menge Glaubensgemeinschaften ganz genau hinschauen, wann und nach welchen Kriterien man eine solche Gruppierung negativ qualifiziert. Es kann nicht angehen, daß eine Gruppe nur deswegen abgewertet wird, weil sie nicht so ist wie die Großkirchen.

Wie sehen die Unterscheidungsskriterien aus?

Destruktive Kulte sind Organisationen, bei denen wir meinen, nachweisen zu können, daß sie Religion nur als Mittel zum Zweck einsetzen, in Wahrheit aber klare kommerzielle Ziele haben. Zweites Merkmal ist, daß sie mit einer gewissen Brutalität gegenüber ihrem eigenen Klientel vorgehen, sowie gegen Kritiker von außen, und diese zu Feinden erklären. Sie haben also eine totalitäre Weltanschauung. Der dritte Punkt ist, daß sie die Menschen finanziell extrem ausbeuten, und die Leute sich hoch verschulden, um Kurse und Meditationen zu bezahlen. Besonders heikel ist, daß Menschen aus ihren Familien herausgelöst werden, aus Freundschaftskreisen, und nur noch der Kontrolle dieser Gruppe unterstehen. Das führt zu teilweise erheblichen psychischen Belastungen.

Welche Gruppen in Bremen fallen unter diese Kriterien?

Die am meisten in der Öffentlichkeit wahrgenommene und weltweit mächtigste Organisation sind die Scientologen.

.., die aber im Bericht nicht auftauchen.

Über die hat man wohl schon so viel geredet, daß man das nicht für notwendig hielt. Man hat andere Organisationen genannt, wie die „Transzendentale Meditation“, die es allerdings nur außerhalb von Bremen mit einem kleinen Zentrum gibt. Die sind etwas gemäßigter als die Scientologen, haben aber durchaus auch Merkmale des destruktiven Kultes und sind außerordentlich problematisch. Die zweite Gruppe, die man neben den Scientologen unbedingt nennen muß, ist die Gruppe „Universelles Leben“. Sie fängt gerade an, sich in Bremen zu etablieren, macht Werbung im Rundfunk, hat im Offenen Kanal recht gute Sendeplätze eingenommen und wird wahrscheinlich demnächst im Straßenbild erscheinen. „Universelles Leben“ ist die Gruppe einer Würzburger Prophetin namens Gabriele Witteck. Diese Organisation ist sehr aggressiv im Umgang mit Kritikern und abweichendem Klientel. Sie ist sehr massiv, wenn Leute sich nicht nach ihrem totalitären Weltbild ausrichten. Wenn Journalisten etwas Negatives schreiben, haben sie meist einen Rechtsanwalt am Hals. Das ist dem, was Scientology macht, in vielen Dingen sehr ähnlich.

Was ist mit dem „Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“?

Der ist nach meinem Dafürhalten außerordentlich aggressiv, weil die sich im Bereich des Rechtskonservativismus einordnen und Kritikern gegenüber sehr massiv werden.

Als letzte nennt der Bericht ockultistische Gruppen und Satanskulte.

Nach meinen Kenntnissen haben sich in Bremen in diesem Bereich nur informelle Kreise gebildet, nicht fest organisierte.

Gibt es hier weitere Gruppierungen?

Es gibt zahlreiche Gruppen, gerade auf dem Gebiet des Psychokultes. Ich habe in meiner Datei so an die 100 Namen von teilweise sehr fragwürdigen Angeboten, die mit einer Therapie verbunden sind, die wie eine religiöse Weltanschauung erscheint.

Warum sollen die Leute nicht hingehen, wenn sie so blöd sind, dafür Geld auszugeben?

Wenn ich zu Hause an meinem Küchentisch Blinddarmoperationen durchführen würde mit Messer und Gabel, könnte ich auch sagen, das machen die Leute ja mit. Auf dem psychotherapeutischen Markt aber läßt man das so gelten. Dieser Bereich ist viel zu wenig geschützt. Wieviele BremerInnen sitzen den destruktiven Kulten auf?

Das läßt sich zahlenmäßig schlecht sagen, es gibt keine Statistiken. Aber ich habe allein in einer Woche vier bis fünf Beratungsfälle, wo Leute an einer dieser Gruppen gescheitert sind.

Die Aussage des Berichtes, es gebe keine Steigerung destruktiver Kulte, stimmt demnach nicht.

Es wird gerne bagatellisiert – wenn eine Sache nicht so wichtig ist, braucht man auch nicht so viel zu tun. Das Problem ist, daß sich der Markt neu aufteilt. Es gibt immer mehr Leute, die auf die Idee kommen, daß man mit dem Psychogurugeschäft eine schnelle Mark machen kann. Große Organisationen müssen dabei Federn lassen und verlieren einen Teil ihres Klientels. Dafür entstehen lauter kleine Gurus.

Welche destruktiven Kulte arbeiten auch politisch?

Die größeren eigentlich alle. Die Scientologen äußern sich politisch und versuchen, sich in die Parteien zu integrieren. Die „Transzendentale Meditation“ hat die sogenannte „Naturgesetzpartei“ ins Leben gerufen. Das „Universelle Leben“ macht eine ganz massive Propaganda, sie wollen den sogenannten Christusstaat aufmachen. In ihrer gleichnamigen Zeitschrift nehmen sie regelmäßig politisch Stellung, meistens im rechtskonservativen Raum, so wie eigentlich alle neureligiösen Bewegungen.

Kann das darauf hindeuten, daß sie aus dem rechten Spektrum kommen und nur aus strategischen Erwägungen den Umweg über eine religiöse Vereinigung machen?

Das ist ganz eindeutig. Beim Universellen Leben wurde nachgewiesen, daß es zwischen dem rechtsradikalen Spektrum und den politischen Äußerungen des Universellen Lebens unmittelbare Zusammenhänge gibt, und daß die gleichen Artikel aus dem Christusstaat in rechtsradikalen Blättern abgedruckt sind. Da gibt es Querverbindungen.

Wo liegen die Probleme, gegen diese Gruppierungen vorzugehen?

Auf gesetzlichem Wege ist nur sehr wenig machbar. Im Rahmen der Religionsfreiheit dürfen beispielsweise sogar rechtsradikale Äußerungen gemacht werden, bei denen die Juden als Todfeinde des Christentums beschimpft werden. Wenn das als Glaubensäußerung gemacht wird, läßt man es gelten, während das als politische Äußerung juristisch verfolgt würde. Auf juristischem Sektor ist daher sehr wenig zu machen. Aber wo man etwas machen könnte und müßte, ist der Bereich der Jugendlichen, die zunehmend von den Gruppierungen angesprochen werden. Die Schulen müßten regelmäßig darüber informieren, aber sie haben bislang kein qualifiziertes Material.

Vor einigen Wochen zogen 700 Jugendliche durch Bremen, organisiert von freikirchlichen und evangelischen Kirchengemeinden. Schauen Sie als Sektenbeauftragter der evangelischen Kirche eigentlich auch dahin, was sich im Bereich der evangelischen oder katholischen Kirche tut?

Ja, auch das ist natürlich ein problematischer Bereich. Wir können allgemein feststellen, daß sich gerade bei jungen Leuten fundamentalistische Organisationen oder fundamentalistisch orientierte Gemeinden immer mehr ausbreiten. Bei fundamentalistischen Organisationen weiß man nach dem ersten Gespräch, worum es sich handelt. Das ist ein Unterschied zu den destruktiven Kulten, wo mit Sprache total gespielt wird.

Daß auch bei den fundamentalistischen Organisationen Wahrheits- und Absolutheitsansprüche aufgestellt werden, daß es da manchmal sehr schlimme Außenseiterprobleme gibt, würde ich in keiner Weise bestreiten, und ich halte das für eine bedenkliche Angelegenheit.

Aber Sie würden ausschließen, daß es unter der Schirmherrschaft der großen Kirchen in Bremen destruktive Kulte gibt?

Ich will nicht bestreiten, daß es auch in den Großkirchen Phänomene destruktiver Religiosität gibt. Das hängt einfach damit zusammen, daß die evangelische Kirche ein sehr pluraler Verband ist mit unterschiedlichsten Gemeinden. Gerade hier in Bremen haben wir eine sehr frei verbundene Kirche, in der jede Gemeinde ihre eigenen Rechte, Strukturen, ihre Bekenntnishoheit hat. Es gibt keinen Papst, keinen Bischof, keinen, der reinreden kann. Da ist es durchaus möglich, daß sich einige sehr extremen Glaubensvorstellungen zuwenden.

Warum sitzen immer mehr Menschen solchen Leuten auf?

Die Menschen sind sehr vereinzelt, die Anonymität in der Gesellschaft ist stärker geworden. Auch findet man die primären sozialen Strukturen nicht mehr so auf. Da wendet man sich an Leute, die große Versprechen machen.

Fragen:Dora Hartmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen