■ Fernsehduell der französischen Präsidentschaftskandidaten: Ein Eiertanz – so defensiv wie fad
Wie ein sportlicher Wettkampf war das TV-Duell zwischen den beiden Kandidaten Lionel Jospin und Jacques Chirac vorbereitet worden. Es sollte die Unentschiedenen orientieren und die Entschiedenen bestärken. Der Sozialist und der Neogaullist sollten einem Millionenpublikum vorführen, wer von ihnen der bessere sei, um Frankreich ins nächste Jahrtausend zu führen. Es war ihr erstes öffentliches Aufeinandertreffen, und es war ihre erste – und fünf Tage vor dem Urnengang zugleich letzte – Gelegenheit, den Wahlkampf aus den Niederungen innerparteilicher Querelen und persönlicher Eitelkeiten, die ihn monatelang bestimmt haben, auf ein den Problemen des Landes angemessenes Debattenniveau zu hieven.
Die V. Republik befindet sich in ihrer schwersten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise. Arbeitslosigkeit und Verelendung sind hoch und chronisch wie nie zuvor. Der Graben, der das prosperierende Frankreich von dem ausgestoßenen trennt, wird immer tiefer. Und das Mißtrauen gegen die alten Parteien und Institutionen wächst beständig.
Von all dem war in dem Duell der Kandidaten – von denen der eine eine dezidiert linke politische Geschichte und der andere eine dezidiert rechte hat – nichts. Beide waren ängstlich um Ausgewogenheit, staatsmännische Zurückhaltung und weitestmögliche Distanz zu ihrer eigenen Vergangenheit bemüht. Das begann mit den beinahe identischen Äußerlichkeiten – dunkle Anzüge, helle Hemden, dunkle Krawatten –, ging über die höflichen Umgangsformen – „Ich bin glücklich über diese Debatte“ – und endete bei dem Eiertanz um alle heißen Themen.
Den Mord vom Vortag, bei dem rechtsextreme Demonstranten einen Marokkaner in die Seine gestürzt hatten, verurteilten beide Kandidaten energisch. Aber über die Hintergründe der Tat, über das rassistische Klima im Land, erst recht über die rechtsextreme Front National, deren 15 Prozent Wähler den Ausschlag in der Stichwahl geben könnten, sprach keiner. Statt dessen stellten die beiden Kandidaten Programme zur besseren Abschottung Frankreichs und zur „Eindämmung der illegalen Einwanderung“ vor.
Die Kandidaten sprachen auch nicht über die Krise des französischen Franc, über die dringend nötige Reform des Erziehungssystems und auch nicht – mit keinem einzigen Wort – über die deutsch-französischen Beziehungen. Europa, die internationale Politik und die ach so lebenswichtige nationale Verteidigung Frankreichs wurden ganz klein und ganz am Schluß mit ein paar Worthülsen abgehakt.
Am Dienstag abend saßen sich zwei fade, defensive Kandidaten gegenüber, die keine Leidenschaft, keine Spannung und schon gar keine politischen Leitlinien vorbrachten. Sie wurden moderiert von zwei Starjournalisten, die sich darauf beschränkten, die Redezeiten zu kontrollieren, handzahme Stichworte zu geben und sich mühten, mit der Qualität ihrer Fragen das Niveau des Präsidentschaftswahlkampfs noch zu unterbieten. Über 20 Prozent der Franzosen haben sich im ersten Wahlgang enthalten, zahlreiche weitere grübeln noch über ihre Entscheidung für die Stichwahl am Sonntag. Die technokratische Strenge des Duellanten Jospin und das gut einstudierte Lächeln von Chirac haben ihnen die Wahl nicht erleichtert. Dorothea Hahn, Paris
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