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Das lange Ende eines Dorfes

Altenwerder an der Unterelbe ist ein Symbol der Umweltbewegung: Jetzt soll es dem Ausbau des Hamburger Hafens weichen  ■ Aus Hamburg Heike Haarhoff

Die Zeit verrinnt. Neben verwildernden Obstplantagen sprießen Zungen- Hahnenfuß, Schwanenblumen und Fieberklee aus dem Boden. Von 239 Pflanzenarten, die hier gezählt werden, stehen 35 auf der Roten Liste. Insekten und Vögel haben sich eingenistet. Vier Häuser stehen noch in Altenwerder – und die Kirche. Doch die ehemalige Elbinsel ist doppelt bedroht. Der Stadtstaat Hamburg will endlich zwanzig Jahre alte Pläne verwirklichen, und gerade hier neue Hafenanlagen bauen. Außerdem, stellt sich erst jetzt heraus, ist die Erde verseucht.

Kein Idyll also. Im März hat ein Schreiben des Ortsamtes Süderelbe die wenigen BewohnerInnen von Altenwerder über Schwermetallbelastungen informiert. Untersuchungen aus dem letzten Oktober hatten überhöhte Konzentrationen von Blei, Kupfer und Quecksilber in der oberen Schicht (bis 40 Zentimeter Tiefe), und Überschreitungen des sogenannten Prüfwerts für Arsen, Blei und Zink im Unterboden festgestellt. „Wir haben 21 Haushalte mit Kindern unter 15 Jahren angeschrieben, weil Kinder schon mal Erdreich in den Mund nehmen“, sagt der Ortsamtsleiter.

Mit ihrer eigenen Bewertung der Ergebnisse will sich die Umweltbehörde noch bis Ende Mai Zeit lassen. Bis dahin sollen Gutachten geklärt haben, ob eine Gefährdung des Grundwassers besteht und ob und wie der Boden saniert werden muß.

Ursache der Verseuchung könnten Altlasten sein: „Der Verdacht gründet auf Luftbildern, die eine optische Aufhöhung zeigen, die früher nicht da war“, sagt die Behördensprecherin. Bisher sind die auffälligen Zonen nicht eingezäunt: „Dem Bezirksamt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, daß die betroffenen Flächen von Besuchern/Ausflüglern aufgesucht werden“, schreibt der Senat auf eine parlamentarische Anfrage der grünen Bürgerschaftsabgeordneten Antje Möller.

Vielleicht sind Schutzzäune bald überflüssig. Nämlich dann, wenn Altenwerder dem Hafen weichen muß. „Der Boden wird abgetragen oder umgeschichtet. Kaum ein Quadratmeter Erde wird bleiben, wo er ist“, heißt es in der Liegenschaftsverwaltung. Die Frage der Kindersicherheit erledige sich deshalb von selbst.

Anders sei das natürlich bei der möglichen Grundwassergefährdung. Die beunruhigt die zuständigen Behörden viel mehr, ihnen ist jede Verzögerung des Hafenausbaus lästig: Hinter den Türen von Ämtern, Parteien und Anwaltskanzleien wird bereits geplant, gerechnet, vorbereitet. Vor einem halben Jahr kam das Planfeststellungsverfahren zum Abschluß, die zahlreichen Einwände von BürgerInnen, Verbänden und Parteien sind auf 5.000 Seiten protokolliert worden.

Mehr als zwanzig Jahre dauert der Streit nun schon, samt Gutachten und Prozessen um Enteignungen. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre wurden die meisten BewohnerInnen Altenwerders und des benachbarten Moorburg „umgesiedelt“ oder „vertrieben“, je nach Lesart der Chronik. Nur wenige blieben und fochten gegen den drohenden Untergang, Altenwerder war bald ein Symbol der erwachenden Umweltbewegung. Die Moorburger Lehrerin Thea Bock, wurde Spitzenfrau der damaligen Hamburger Grün-Bunt- Alternativen Liste, die 1986 den Einzug ins Landesparlament feierte.

Fast schien die Sache ausgestanden. Aber der wirtschaftspolitische Sprecher der heutigen GAL, Detlev Grube, malt ein Szenario aus, das er „hollywoodmäßig“ findet. Just am 5. Mai, dem Tag des bierseligen Hamburger Hafengeburtstags, könnte der Beschluß zur Planfeststellung fallen. Eine Amtssprecherin hält das „zweite Quartal 95“, für wahrscheinlich, und danach soll alles sehr schnell gehen. „Sobald der Beschluß da ist, werden wir Sofortvollzug beantragen.“ Praktischerweise ist das Amt für Strom- und Hafenbau Antragsteller, Anhörungs- und Genehmigungsbehörde zugleich. Wenn dann noch das Verwaltungsgericht zustimme, meint die Sprecherin, stehe der „Umstrukturierung Altenwerders zu einem modernen Distributions- und Logistikzentrum“ nichts mehr im Wege. Darunter sind Liegeplätze für Containerschiffe am Elbufer, Kaimauern und ein 800 Meter breiter Streifen Beton samt Bahnanschluß zu verstehen. Lager- und Packhallen, Werkstätten und Verwaltungsgebäude schließen sich an, dahinter beginnt das sogenannte Güterverkehrszentrum, in dem die Ware gesammelt und für den Transport vorbereitet wird: Die Angst vor den Konkurrenzhäfen Bremen und vor allem Rotterdam treibt den Hamburger Senat in einen milliardenschweren Kraftakt.

Die Hamburger GAL hofft, die weitere Planung des Hafenausbaus wenigstens verzögern zu können. Unter anderem ist die Finanzierung noch immer unklar. 276 Millionen Mark müssen Private aufbringen. Ob es denn Investoren gebe, wollte ein GAL-Abgeordneter schon mal wissen. Die Antwort des Senats fiel einsilbig aus: „Ja.“

So verrinnt die Zeit. „Das Rennen ist offen“, sagt Rechtsanwalt Michael Günther, der die BewohnerInnen von Altenwerder seit 1976 vertritt. Die wenigen verbliebenen Grundstückseigentümer werden klagen und eine aufschiebende Wirkung des Planfeststellungsbeschlusses beantragen. Außerdem sei die Elbinsel inzwischen ökologisch so wertvoll, daß der Naturschutz über Wirtschaftsinteressen gestellt werden könnte: „Eine Fläche kann ihren Rechtscharakter ändern“, sagt der Anwalt. Und in Hamburg regiert längst nicht nur der Senat. Wenn die Süßwasser- Wattgebiete und Marscheninseln zerstört würden, könnte die Hansestadt Schwierigkeiten mit der Kommission der EU bekommen.

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