piwik no script img

■ Mit einem großen Festakt wird morgen in Berlin die Neue Synagoge wiedereröff- net. Nicht als Gotteshaus, sondern als Lernstätte. Ein Museum, das der Jüdischen Gemeinde Berlins Brückenschlag...Der jüdische Geist Berlins ist heute russisch

Mit einem großen Festakt wird morgen in Berlin die Neue Synagoge wiedereröff-

net. Nicht als Gotteshaus, sondern als Lernstätte. Ein Museum, das der Jüdischen

Gemeinde Berlins Brückenschlag zu einer hoffnungsvollen Zukunft sein soll.

Der jüdische Geist Berlins ist heute russisch

Der 7. Mai 1995 ist für die Jüdische Gemeinde von Berlin ein großer Tag. Nach siebenjähriger Bauzeit und unendlich schwierigen Restaurationsarbeiten wird morgen mit einem großen Festakt die Neue Synagoge eingeweiht. Nicht als Gotteshaus, sondern als eine Begegnungs- und Lernstätte: als ein „Centrum Judaicum“ – nicht nur für Juden, sondern für alle Neugierigen. „Wenn herauskommen sollte, daß wir am Sonntag eine Synagoge eröffnen, haben wir etwas falsch gemacht“, meinte bei der Presseführung am Donnerstag der Direktor, Herman Simon. Und Jerzy Kanal, der Vorsitzende der Berliner Gemeinde, ergänzte: „Wir sind nicht so vermessen, an das alte jüdische Leben anzuknüpfen. Wir können Häuser aufbauen, aber nicht Menschen zum Leben erwecken.“

Und weil dieser Satz so wahr ist, ist die Eröffnung des Centrum Judaicum mit etwa 3.000 Gästen, darunter der Bundespräsident und der Bundeskanzler, und vom Fernsehen live übertragen nicht nur ein Freuden-, sondern vor allem ein Gedenktag. Denn in den Reden wird wieder der „jüdische Geist“ beschworen, „der in diesem Gebäude zu spüren ist“ (Kanal). Draußen jedoch wird die Polizei stehen, Sicherheitsstufe I. Wer erfahren möchte, wie bedeutend die Jüdische Gemeinde in den Jahrhunderten vor dem Holocaust gewesen ist und wie großartig die Neue Synagoge ihr Selbstbewußtsein zur Schau stellte, muß heute zig Sicherheitsschleusen passieren – Polizeischutz für alle jüdischen Einrichtungen, nicht nur wenn Prominenz angesagt ist. Das ist heute die Realität in Deutschland.

Das Centrum Judaicum in der alten Neuen Synagoge ist – bei aller Hoffnung, die Jerzy Kanal für die Zukunft der Jüdischen Gemeinde hegt – in erster Linie ein Museum. Daß der alte Platz, wo sich früher der Hauptsynagogenraum befand, heute leer bleibt, ist dafür der sinnfälligste Ausdruck. Und überdeutlich zu erfahren ist dies in der von der Stiftung Topographie des Terrors erarbeiteten Dokumentation über das nicht mehr existierende Berliner Judentum. Zu sehen sind nur Repliken und Reproduktionen, denn die Nazis haben nicht nur die Menschen umgebracht, sondern auch alle originalen Zeugnisse ihrer Geschichte vernichtet. Auf mehrfache Weise ist so die Neue Synagoge zu einem Holocaust-Mahnmal geworden, eindrücklicher als all die Entwürfe, die kürzlich bei dem großen Wettbewerb prämiert worden sind. Eindrücklicher, weil sie zeigt, was verschwunden ist, was nie mehr sein wird.

Vor dem Krieg lebten 175.000 Juden in der Stadt: deutsches Bildungsbürgertum, Intellektuelle, Kapitalisten, arme Ostjuden, auf dem Weg nach Amerika im Scheunenviertel hängen geblieben, und Gläubige aller Schattierungen. Reformer, Liberale, Orthodoxe – jede Gruppe mit einer eigenen Subkultur. Alles Geschichte oder doch auch ein ganz klein wenig Gegenwart? Das letzte Kapitel der Ausstellung heißt „Überleben und Neubeginn“. Und tatsächlich, rund um die Neue Synagoge sind heute leibhaftige Spuren davon zu finden: zwei jüdische Restaurants, ein koscherer Laden, der Jüdische Kulturverein und die orthodoxe unabhängige Synagogengemeinde Adass Jisroel. Dazu noch ein jüdisches Gymnasium und eine Volkshochschule. Und im Westteil der Stadt eine aus allen Nähten platzende Grundschule. „Die Schulen sind unsere Hoffnung für die Zukunft“, versuchte Herman Simon allem Historismus vorzubeugen, dort liege der Beweis, daß es „jüdisches Leben in Berlin gibt“.

Masl-tów. Viel Glück. Über 10.000 Mitglieder zählt heute die Jüdische Gemeinde von Berlin und ist damit die größte in Deutschland. Vermutlich auch die schwierigste. Mindestens 7.000 Gemeindemitglieder kommen aus der ehemaligen Sowjetunion, die ersten kamen Ende der siebziger Jahre, damals noch illegal, mit gefälschten Einreisevisa über Wien oder Rom.

Aber richtig in Schwung kam die jüdische Einwanderung ab Sommer 1990. Es kamen so viele und unter so großer öffentlicher Anteilnahme nach Berlin, daß ihre Aufnahme zu einem Stückchen verspäteter Wiedergutmachung wurde. Als am 15. Februar 1991 alle sowjetischen Juden, die ab Juni 1990 mit einem Touristenvisum in die Stadt eingereist waren, rückwirkend als politische Flüchtlinge anerkannt wurden, zählte die Gemeinde offiziell 3.600 „Russen“. Wahrscheinlich waren es aber sehr viel mehr, denn wer Gemeindemitglied werden wollte, mußte eine strenge Herkunftsprüfung über sich ergehen lassen.

Heute ist die jüdische Zuwanderung in die Stadt legal nur noch im Rahmen der Familienzusammenführung möglich. Trotzdem kommen Jahr für Jahr Hunderte von Neuzuwanderern, und die Gemeinde wird unterderhand immer mehr zu einer russischen Oase – mit einer russischen Subkultur, die für Deutsche nur schwer zugänglich ist.

Für die Jüdische Gemeinde ist die starke russische Dominanz ein Grund, hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen; man stirbt eben nicht aus, wird nicht zu einem lebendigen Museum. Aber bis die Zukunft schön ist, müssen viele Probleme bewältigt werden. Die Sozialabteilung hat alle Hände voll zu tun, die Integration und der religiöse Nachhilfeunterricht gestalten sich schwierig. Noch immer leben einige hundert in Notunterkünften, und es gibt nicht wenige, die die Gemeinde mit einem Dienstleistungsunternehmen verwechseln. Am vitalsten ist der Wandel in der orthodoxen Synagoge in der Joachimsthaler Straße zu spüren. Das ist zwar paradox, weil die wenigsten Neuzuwanderer orthodox sind. Aber das Gewimmel dort ist eben jiddisch und das wiederum etwas russisch-unübersichtlich. In der größten Berliner Synagoge, in der Rykestraße im Ostberliner Prenzlauer Berg, gibt es hingegen oft Schwierigkeiten, die zehn Männer für das rituelle Gebet zusammenzubekommen.

Im Gemeindeparlament sind die „Russen“ noch unterrepräsentiert. Das kann Jerzy Kanals Liste, den Liberal-Jüdischen Block, bei der nächsten Wahl die ohnehin hauchdünne Mehrheit kosten. Ob sich aber, wenn die oppositionelle Demokratische Liste das Ruder übernähme, viel ändern würde, ist fraglich. Denn insgesamt fehlt es der gesamten Einheitsgemeinde an profilierten Persönlichkeiten, erst recht an Intellektuellen. Verglichen mit der Ausstrahlung, die etwa die Frankfurter Juden für die intellektuelle Diskussion in Deutschland haben, ist Berlin Ödland. Mit dem Centrum Judaicum, einem jüdischen Zentrum in Berlin, besteht Hoffnung, daß sich das ändert. Anita Kugler, Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen