: Erfolgreicher Schulstreik gegen Gift
■ Eltern fordern PCB-freie Schule / Behörden machen allmählich Zugeständnisse
Waibstadt (taz) – „Wir wollen keine halben Sachen, sondern eine ganze Sanierung“, sind sich SchülerInnen, Eltern und LehrerInnenkollegium der Realschule Waibstadt einig. Im Schulzentrum der 5.600-EinwohnerInnen-Gemeinde im Rhein-Neckar-Kreis hatten letztes Jahr hohe Anteile des krebserregenden Giftes PCB in der Luft von Klassenräumen für Aufregung gesorgt.
Erst nachdem die Eltern zweier kompletter Klassen ihre Kinder nicht mehr in den Unterricht schickten, rührten sich die zuständigen Behörden; die Gemeinde sowie das Gesundheitsamt Heidelberg schlossen das Schulgebäude aus den siebziger Jahren und veranlaßten den Beginn der Sanierungsarbeiten. Mittlerweile ist klar, daß die ersten Schritte der Sanierung kein ausreichendes Ergebnis brachten, neue Messungen ergaben jetzt, daß trotz aufwendiger Baumaßnahmen noch immer fast 6.000 Nanogramm PCB pro Kubikmeter Raumluft vorhanden sind.
Doch die Gemeinde Waibstadt, durch ein extremes Hochwasser vor einem Jahr finanziell angeschlagen, kann die zweite teure Sanierung nicht bezahlen. Und 15 umliegende Gemeinden, aus denen viele der 480 Schüler kommen, fühlen sich nicht zuständig. Auch das baden-württembergische Wirtschaftsministerium wiegelt bisher noch ab: Für Sanierungen von Schulen sei kein Geld da.
Doch die Eltern gaben sich damit nicht zufrieden und setzten jetzt eine Informationsveranstaltung mit Vertretern der Gesundheitsämter, des Sozial- und des Wirtschaftsministeriums durch. Da mußten sich mißtrauisch gewordene Eltern und Lehrer über plötzlich erneuerte Baurichtlinien wundern: Bislang als gesundheitsgefährdend eingestufte Grenzwerte sollten plötzlich nur noch bei einer 24stündigen Belastung gelten. Da Kinder sich nur sechs bis acht Stunden in der Schule aufhalten, hielten die Experten daher dreifache Werte für tolerabel. Verdutzte Eltern wurden darüber belehrt, daß das Baurecht ausschließlich zur Gefahrenabwehr, nicht aber bei Vorsorgemaßnahmen greife: „Vorsorge bezahlt Ihnen kein Mensch!“, sagte einer der Beamten.
Trotzdem verlangen die Eltern weiterhin eine zweite Sanierung: Den Experten, die sich unverdrossen hinter dem Baurecht verschanzten, erläuterte ein Mediziner der Uniklinik Heidelberg die erhöhte Infektanfälligkeit bei PCB-belasteten PatientInnen – was Eltern für ihre Kinder bestätigten. Seit der ersten Sanierung hätten sich diese Symptome bereits zum Teil gebessert, berichteten einige von ihnen.
Eine Unterschriftensammlung und ein Forderungskatalog, bei dem Eltern und LehrerInnen von Haupt- und Realschule an einem Strang ziehen und mit neuerlichem Schulstreik drohen, bewirkte ein erstes Nachgeben des Gesundheitsamtes Heidelberg: Ausgehend von den ursprünglichen, sehr hohen Werten, besteht nun auch die Behörde auf der weiteren Sanierung des Schulgebäudes. Bernd Oehler
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