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Das gute Weberschiffchen

Die etwas andere Kunstrückführung: Wie das erste Stück sogenannter „Beutekunst“, ein Jugendbildnis von Hans von Mares, aus der Ukraine zurück nach Bremen kam – ganz ohne Pomp und hochrangig besetzte Kommissionen  ■ Von Thomas Wolff

Lapidarer hätte selbst Lubitsch die Szene nicht inszenieren können. Zwei ukrainische Grenzer an einem späten Freitagnachmittag, das Wochenende naht, ebenso ein Auto mit deutschem Kennzeichen. An Bord ein Professor aus Bremen, eine Abgesandte der ukrainischen Kulturbehörden und eine Plastiktüte mit dem Aufdruck eines Bremer Herrenausstatters. Inhalt: eine Prawda, darin eingewickelt ein altes Ölbild – Hans von Mares' Jugendbildnis, leicht angeknittert, aber ansonsten ganz echt. Aufregung im Wachhäuschen, Anrufe im Kulturministerium: Für diese heikle Fracht reichten die Begleitpapiere des Professors wohl nicht aus. Zumindest müsse es doch was zu verzollen geben. Gibt es aber nicht. Bei dem Bildertransport handelt es sich nicht um eine Ausfuhr, sondern eine Rückführung – die erste, in der ein im Zweiten Weltkrieg verschlepptes Kunstwerk wieder nach Deutschland zurückkehrt; hier: in die Bremer Kunsthalle. Der Minister gibt sein fernmündliches O.K.; der Professor, die Tüte und das Bild dürfen passieren.

So unspektakulär wie die Heimreise des Herrn von Mares war auch die Präsentation des Bildes in der Bremer Kunsthalle. Die Bremer übten sich in Bescheidenheit. Allen voran Wolfgang Eichwede, Professor an der Forschungsstelle Osteuropa der Bremer Uni und Unterhändler des Kunstvereins. „Das gute Bremer Weberschiffchen“, so nennen ihn die Ukrainer inzwischen; ein unermüdlicher Pendler und Vermittler zwischen Kiew, Petersburg und dem Rest der Welt. Eichwedes Strategie unterscheidet sich deutlich vom forschen Auftreten des Auswärtigen Amtes in den offiziellen Gesprächen der ost-westlichen „Rückführungskommissionen“. Dort sind die Fronten unverändert eisig hart, dieweil die Bremer ihre kleinen diplomatischen und ganz praktischen Erfolge in aller Stille feiern. „Ich trete nicht auf als jemand, der nur fordert“, sagt Eichwede, „ich bitte oder schlage vor, daß wir gemeinsam einen Weg finden.“

Das hat sich herumgesprochen. Bis hinter Kiew, wo sich ein alter Soldat der Roten Armee erinnerte: 1945 hatte er nach der Eroberung des märkischen Schlosses Karnzow ein hübsches Bild mitgehen lassen. Das Porträt des jungen, etwas melancholisch dreinblickenden Mannes gehörte zu den 21 Gemälden und rund 5.000 Blatt Druckgrafik, die die Bremer Kunsthalle im letzten Kriegsjahr aus Sicherheitsgründen ausgelagert hatte – vergebens: Alles kam weg, verschwand spurlos.

Bis der Mann aus Kiew auf das Tauziehen um die „Beutekunst“ aufmerksam wurde. Und damit auf den Professor aus Bremen. Ende 1993 bekam Eichwede Post aus der Ukraine: Der Sohn des Soldaten, der lieber anonym bleiben wollte, bot den Bremern die Schenkung des Porträts an. Der alte Stempel der Kunsthalle auf dem Rücken des Gemäldes ließ keinen Zweifel an der Herkunft des Bildes. Es sollte kein großer Staatsakt werden: Der Mann, sagt Eichwede, habe das Bild „als Kriegserinnerung mitgenommen“ und habe nun „das Gefühl, es einfach wieder zurückgeben zu wollen“. Aber so einfach ging die Sache natürlich nicht: Wie kriegt man so ein Bild ganz praktisch von Kiew nach Bremen – ganz legal, mit Einverständnis aller offiziellen Stellen?

November 1994 in München. Die Sitzung der offiziellen ukrainisch-deutschen Rückführungskommission ist mal wieder ergebnislos verstrichen. Eichwede ist nur Zaungast; die Ukrainer laden den alten Bekannten abends auf ihr Hotelzimmer ein. Mal wieder seien sie „mit besten Absichten“ gekommen, mal wieder habe die deutsche Seite auf ihrer „klaren Rechtsposition beharrt“. Eichwede versucht es anders. Er informiert die Ukrainer, „daß da ein Problem auf euch zukommt“: eine einzelne, ganz konkrete Bilderrückführung; er, Eichwede, wolle den Transport auch gern selbst im privaten Pkw durchführen – ob er da den Segen des Kulturministeriums bekommen könnte?

Er konnte. Vielleicht auch deshalb, weil die Bremer mal wieder ihr Entgegenkommen bewiesen und dabei mehr Phantasie entwikkelten als die offiziellen deutschen Kunstrückführer. Dem Soldatensohn – ein junger Ingenieur mit Sehnsucht nach dem Westen – ermöglicht der Kunstverein demnächst ein einjähriges Praktikum in einem Betrieb nahe Bremen. Den Kontakt stiftete Eichwede. Nicht als Gegenleistung: „Das ist nicht eine Sache des Gebens und Nehmens“, sagt er, „es kommt darauf an, daß man erkennt: Solche Prozesse muß man auf vielen verschiedenen Ebenen voranbringen.“

Da fügte es sich bestens, daß sich gleichzeitig eine Kunstrückgabe in der anderen Richtung anbahnte. Am 24. März übergab Ute Gräfin Baudissin, Leiterin des Goethe-Instituts in Kiew, dem Zentralen Staatsarchiv der Ukraine einen Schatz, der ebenfalls jahrzehntelang verschollen war: eine Urkunde Peters des Großen, mit der die Rechte der Metropoliten in Kiew besiegelt wurden. Die Schriftrolle war von Wehrmachtssoldaten aus Kiew verschleppt worden. Ein US-Offizier entdeckte das Schmuckstück in einer verlassenen SS-Dienststelle in Wien und nahm es nach Kriegsende mit nach Nebraska. Dort zierte die Rarität das Wohnzimmer des Ex-GIs – die Einstichlöcher der Stecknadeln sind heute deutlich sichtbar. Im Juni 1993 entschied er sich, sein Dekor wieder herauszurücken. Die endgültige Rückgabe gelang – unter abermaliger Vermittlung Eichwedes.

So zeigten auch die ukrainischen Behörden bei der Übersiedlung des Mares-Bildes Phantasie. Vor allem galt es das Problem zu lösen, die Schenkung an die Deutschen anzuerkennen, ohne daß der Schenker namentlich bekanntwerden durfte. Kulturminister Jakowina akzeptierte schließlich eine notarielle Beglaubigung des Schenkungsaktes. Der Trick: Der Minister bekam nur eine Fotokopie des Dokuments zu sehen, auf der der Name des Ex-Soldaten ausgespart blieb. Nur „mit unglaublich viel Goodwill“, so Eichwede, habe das Manöver vollzogen werden können – mit Hindernissen, „aber ganz legal, ganz ruhig“.

Soviel Goodwill vermißt Eichwede in den offiziellen Gesprächen, und zwar auf allen Seiten. In der Tat hat sich seit dem deutsch- russischen Abkommen von 1990 nichts bewegt, erst recht kein Kunstwerk. Den Grund sieht Eichwede unter anderem in der Haltung der deutschen Unterhändler. „Die deutsche offizielle Seite geht davon aus, daß sie eine hieb- und stichfeste Rechtsposition hat.“ Daran sei auch nicht zu rütteln – aber: „Eine Rechtsposition löst diese Probleme nicht.“ Denn das heute gültige Recht „fällt nicht zusammen mit der historischen Verantwortung für den Krieg und die Verluste“. Genau das gelte es zu respektieren. Um so mehr, als die Ukrainer – anders als derzeit die Russen – die internationale Rechtslage inzwischen anerkennen. Dennoch können auch sie die Rückführungsfragen „nur durch das Prisma unserer Verluste sehen“ – eine Bemerkung, die Eichwede seither stets im Hinterkopf hat, wenn er nach Kiew reist.

Andernfalls produziere die deutsche „Position des Forderns“ eine „doppelte Schieflage“, sagt Eichwede: „Die ehemaligen Opfer geben dem ehemaligen Aggressor etwas zurück, ohne daß der Aggressor etwas Ähnliches zurückgeben kann.“ Es sei denn, man hat eben ein Dokument von Peter dem Großen parat. Oder, wie es sich in der Osterwoche ergab, ein paar Kisten voll alter Bücher aus ukrainischen Archiven – die entdeckte Eichwede am Bodensee, im „Pfahlbaumuseum Unteruhlding“. Ihr Inhalt: 723 Bücher in kyrillischer Schrift – die kein Museumsmitarbeiter lesen konnte. Eichwede schon. Der identifizierte die Kisten als Kriegsverlust. Seltene archäologische und völkerkundliche Publikationen des 19. und 20. Jahrhunderts, vermutlich von den Nazis 1943 aus der Ukraine verschleppt. In der letzten Aprilwoche wurden die Bücher in Kiew ans Nationalmuseum übergeben. Ganz legal, ganz ruhig.

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