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Der Rückzug auf die türkischen Medien

Das Gros der türkischen EinwanderInnen in der Bundesrepublik informiert sich fast ausschließlich über Medien aus der Türkei / Vor allem das Fernsehen hat für einen Rückzug in eine eigene Öffentlichkeit gesorgt / Gesellschaftliche Entwicklungen und Politik der Bundesrepublik kommen darin fast gar nicht vor / Ein Isolationsprozeß mit Folgen in der Bundesrepublik  ■ Von Vera Gaserow

Die Schlangen vor den Banken erinnerten an die Zeit der deutsch-deutschen Währungsunion. Doch dieses Mal waren es – ganz offenkundig – keine DDR-Bürger, die sich an den Schaltern drängten: In Deutschland lebende Türken folgten in Scharen einem Appell, der Tausende Kilometer entfernt auf den Weg geschickt worden war.

In einer gigantischen 56stündigen Livesendung hatte das türkische Staatsfernsehen TRT-INT „die Nation“ zu Spenden für den Militäraufmarsch gegen die aufständischen Kurden aufgerufen: Seit Ende April mobilisiert der TV-Sender mit flammendem Patriotismus auch den Teil der „Nation“, der längst nicht mehr in der Heimat lebt. Bis zum 13. Mai wird auch die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland täglich auf Solidarität mit der kämpfenden Truppe eingeschworen: „Auf, Türkei! Hand in Hand mit unseren Soldaten!“

In Deutschland regten sich Proteste gegen diese nationalistische Propagandaschlacht, die mediengerecht selbst Kinder vorführte, die ihr Taschengeld den „tapferen Soldaten“ opferten. Die „Medienagentur für Menschenrechte“ legte förmliche Beschwerde bei den Landesmedienanstalten gegen den türkischen Staatssender TRT-INT ein, der die Spendenkampagne via Kabel direkt nach Deutschland schicken konnte. Am heutigen Dienstag werden sich die Direktoren der Medienanstalten auf ihrer turnusmäßigen Konferenz damit befassen.

Die Schlangen vor den Banken hätten der deutschen Öffentlichkeit jedoch noch ein anderes Problem vor Augen führen können, das für das Zusammenleben in Deutschland noch entscheidender ist als eine zeitlich begrenzte Kampagne: Die türkische Community hat in den vergangenen Jahren ein immer stärkeres mediales Eigenleben entwickelt. Die öffentliche Meinung der in Deutschland lebenden türkischen EinwanderInnen wird nicht in Berlin, Köln oder Rüsselsheim, sondern in Istanbul und Ankara gemacht.

In dieser separaten Medienwelt spielen die bundesrepublikanische Gesellschaft und Politik nur eine marginale Rolle – und die ist derzeit mit einem Bösewicht besetzt. Je mehr die technischen Möglichkeiten es zulassen, desto stärker ziehen sich weite Teile der türkischen Minderheit in diese mediale Selbstisolation zurück. Ein Prozeß, der mit sprachlichen Schwierigkeiten allein nicht zu erklären ist, der politische Ursachen und Konsequenzen für das Denken und Handeln hat.

Neben den türkischen Tageszeitungen haben vor allem die Fernsehkanäle eine eigene Öffentlichkeit geschaffen – von der bundesdeutschen Politik kaum beachtet, von den zuständigen Mediengremien schwer überprüfbar und kaum kontrolliert. Was bei Besuchen in türkischen Familien noch als zufällige Momentaufnahme erscheint, untermauert die jüngste Untersuchung, die das Essener „Zentrum für Türkeistudien“ in Auftrag gegeben hat – nicht zufällig fast die einzige, die sich überhaupt mit dem Medienverhalten der türkischen Minderheit befaßt: 43 Prozent der türkischen Haushalte gaben darin an, „auch“ deutsche Sendungen zu sehen. Im Umkehrschluß: 57 Prozent der türkischen Migranten schalten nie ein deutschsprachiges Fernsehprogramm ein.

„Der Rückzug auf die türkischen Medien ist voll im Gange“, konstatiert der Leiter des Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, „der Trend hat sich seit Mölln und Solingen verstärkt, und er wird sich fortsetzen, je länger ARD und ZDF diese Zuschauergruppe vernachlässigen und je mehr türkische Programme ins Kabelnetz kommen. Das ist ein Rückschritt für die Integration.“

Langjähriger TV-Spitzenreiter ist der türkische Staatssender TRT-INT, der jetzt „Hand in Hand mit den Soldaten“ marschiert. In der Beliebtheitsskala hat der Regierungssender zwar gegenüber privaten türkischen Anbietern Punkte eingebüßt. Fünf Privatsender, meist eng verknüpft mit türkischen Zeitungskonzernen, sind in Deutschland per Satellit zu empfangen – Sender, die neben jeder Menge seichter Unterhaltung auch kritische Nachrichtenmagazine präsentieren. Doch die Meinungs- und Informationsführerschaft von TRT-INT ist allein durch seine Reichweite bisher ungebrochen.

Der Regierungssender ist bislang der einzige, der nicht nur via Satellit, sondern auch per Kabel zu empfangen ist.

Nur in Berlin gibt es noch drei weitere türkische Anbieter im Kabelnetz. Eine Viefalt, die keineswegs Qualität garantiert. Das Programm wird zwar in Deutschland produziert, informiert aber mit Ausnahme des kleinen, linksliberalen Senders AYPA-TV fast ausnahmslos über das Geschehen in der Türkei. Die beiden anderen Anbieter nutzen darüber hinaus ihre Sendezeit immer wieder für nationalistische, fundamentalistische Propaganda, teilweise deutlich gefärbt mit antieuropäischen und auch antisemitischen Tendenzen.

Der älteste und bekannteste unter diesen Berliner Sendern ist TD1, der ein 24-Stunden-Programm auf türkisch bietet – kommerziell ausgerichtet, politisch konservativ und streng regierungstreu. Ein Großteil des Programms ist schamlos von anderen Privatsendern aus der Türkei abgekupfert. Der Rest besteht aus Spielshows, Telefonaten mit Zuschauern und dilettantisch gemachten Beiträgen auf unterstem journalistischen Niveau. Beliebter Programmteil: Studiogespräche, bei denen die Interviewpartner die Fragen selbst mitbringen. Eine gute Stunde lang durfte da Ende vergangenen Jahres zum Beispiel der neugewählte Bürgermeister von Istanbul sich selbst interviewen, gegen türkische Alewiten hetzen und Werbung für seine stramm rechtsgerichtete Wohlfahrtspartei betreiben.

Auf dem Mischkanal im Berliner Kabelnetz darf auch ein orthodox islamischer Privatsender agieren. Eine Stunde pro Tag sendet das Türkische Fernsehen in Deutschland (TFD) dort sein Programm, das vor allem aus der Predigt und Interpretation des Korans besteht. Am Wochenende überträgt TFD das Freitagsgebet aus einer Moschee – meist von fundamentalistisch geprägten Hodschas bestritten. Doch auch unter der Woche ist die Botschaft klar: „Wir sind kurz davor, daß wir Muslimanen an die Regierung kommen“, doziert da der Chefredakteur des Senders fast vierzig Minuten lang in die Kamera, dann werde endlich Schluß sein mit „der Versklavung der Türkei an den Westen“. Als im vergangenen Jahr Israel und die PLO ihren Friedensvertrag unterzeichneten, präsentierte TFD ungehindert ein Video in arabischer Sprache mit Propaganda radikaler Hamas-Anhänger.

Das Kabelnetz macht's möglich. Vor allem auch in seinem Offenen Kanal. Nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Bundesländern ist der Offene Kanal inzwischen zum Tummelplatz rivalisierender türkischer Gruppierungen geworden. Anhänger der Grauen Wölfe sichern sich dort ebenso ihre Sendezeit wie islamische Fundamentalisten und PKK-Sympathisanten.

In Berlin beobachtet die für die Kabellizenzen zuständige Landesmedienanstalt die verschiedenen türkischen Programme „mit Unbehagen“. Doch bisher hat sie in keinem einzigen Fall eine Beanstandung ausgesprochen. Patriotisch- nationalistische Appelle oder Aufrufe zur Gründung eines islamischen Staates seien allein noch kein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit.

Tatsächlich jedoch scheitert die Kontrolle schon an einem weit banaleren Problem: Um das türkische Programmangebot wirklich zu beobachten, müßte man es verstehen. Und im gesamten Aufsichtsgremium der Medienanstalt gibt es niemanden, der der türkischen Sprache mächtig ist.

Die umstrittene Spendenkampagne von TRT-INT haben sich die Medienkontrolleure jetzt in wesentlichen Teilen übersetzen lassen.

Nach einer ersten Sichtung beurteilte die gemeinsame „Arbeitsstelle für Jugendschutz und Programm“ der Landesmedienanstalten die 56stündige Sendung zwar als „nicht unproblematisch“. Einen Verstoß gegen den Artikel 7 des „Europäischen Übereinkommens für grenzüberschreitendes Fernsehen“, dem TRT-INT für sein Kabelprogramm unterliegt, wollten die Programmbeobachter in der Propagandashow jedoch nicht sehen – weder einen Verstoß gegen die Menschenwürde noch eine Gewaltverherrlichung oder eine Anstachelung zum Rassenhaß. Auf ihrer heutigen Konferenz werden die Direktoren der Medienanstalten wohl kaum anders entscheiden.

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