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Quadratisch, spießig, gut

Ab morgen auf Deutschlandtournee: Tom Jones, der walisische Shouter, Survivor, Soul- und Selfmademan. Sogar Elvis gab ihm damals Respect. Ein Muß für alle, die einen Mann mal so richtig schreien hören wollen  ■ Von Harald Keller

Mannigfaltige Mitteilungen kursieren in diesen Tagen, darunter auch jene, daß der Einbauchküchensinatra Tom Jones zur aktuellen Popmusik gefunden habe. Von kecken Interviewern mit derartigen Anwürfen konfrontiert, reagiert der kregel aufs 55. Lebensjahr zuschreitende Vollathlet mit der freundlichen Nachsicht eines Erfolgsmenschen, dem die Betreiber der Weihestätten US-amerikanischen Mega-Entertainments in Las Vegas, Reno und anderswo noch immer ohne zu zaudern sechsstellige Abendgagen hinblättern.

Doch mit Casinoauftritten läßt es Jones beileibe nicht bewenden – er bringt beim Rockfestival im englischen Glastonbury das Open Air- Publikum auf die Füße, zieht in Dan Aykroyds „House of Blues“ in Los Angeles eine heiße Show ab, gibt ein Gastspiel in der jugendorientierten Sitcom „Fresh Prince of Bel Air“ und fällt auch bei der Verleihung der MTV-Awards nicht unangenehm auf. Jones erreicht sämtliche Altersschichten, allein mit Charisma und seiner unglaublich wuchtigen Stimme.

Mit der machte er bereits auf sich aufmerksam, als er noch daheim in Wales im Chor der Treforrest Secondary Modern School sang. Seine Lehrer ermahnten ihn immer wieder zur Zurückhaltung, weil er seine Mitschüler lautstark übertönte. Mit 16 Jahren verließ er die Schule, heiratete wenig später und wurde mit 18 Vater. Ein Auskommen fand er in verschiedenen Gelegenheitsjobs. Abends trat er in den Pubs auf und brachte sich nebenher das Schlagzeugspielen bei, um eine Band gründen zu können. Die hieß Tommy Scott and the Senators und erlangte regional einige Berühmtheit.

Der nächste vernünftige Karriereschnitt hätte ihn nach London führen müssen. Doch unser Mann ließ sich Zeit. „Es ist seltsam,“ sinnierte sein Entdecker und langjähriger Manager Gordon Mills 1971 in einem Gespräch mit der Los Angeles Times, „aber Tom hatte stets das Gefühl, daß eines Tages jemand vorbeikommen und einen seiner Club-Auftritte sehen würde.“ Also geschah es. Mills, selbst Waliser, hatte seine eigene Bühnenkarriere eben beendet, um fortan als Komponist und Manager zu arbeiten. Ein Freund empfahl ihm diese vielversprechende Gruppe mit dem kraftstrotzenden Sänger, Mills kam, sah – und beendete den Abend als Impresario.

Als er in London eintraf, war aus Thomas John Woodward der angehende Popstar Tom Jones geworden. Die Metropole empfing den Provinzler jedoch keineswegs mit offenen Armen. Zunächst einmal absolvierte er die übliche Runde durch die Clubs und trat unter anderem in einer Reihe mit Van Morrisons Them und der Spencer Davies Group in Alexis Korners R & B-Club „Beat City“ auf. Im Juli 1964 griff Decca zu und sicherte sich den Neuling. Freilich wußte man anfangs nicht recht, wohin mit dieser walisischen Naturgewalt. Das damalige Teenagerpublikum bevorzugte zartgebaute Idole, die Beatles beispielsweise, den schmächtigen Mick Jagger oder den asketischen Cliff Richard. Mills dazu: „Er war zu wild auf der Bühne, zu aggressiv, so daß die Kinder Angst bekamen. Sie wichen förmlich vor der Bühne zurück.“

Nach einem ersten Flop hatte Jones inzwischen mit „It's Not Unusual“ einen internationalen Top- Hit landen können und einen „Grammy“ als „Best New Artist of the Year“ eingeheimst. Fortan buhlte er um ein Publikum, das gute zwanzig und älter und vorwiegend weiblich war. Die folgenden Singles paßten zu diesem Programm, „What's New Pussycat“, „Green Green Gras of Home“, „Delilah“ wurden Welthits.

Man kann Jones nicht verdenken, daß er die sichere Nummer wählte – bis 1965 hatte er mit Frau und Kind im Hause der Schwiegereltern in Pontypridd gewohnt. Nun konnte er sich endlich ein Eigenheim leisten und erwarb für 8.000 Pfund einen angemessenen Neubau in der Nähe von London. 1967 wurde er zum beliebtesten britischen Sänger gekürt und in der Sektion „Internationale Künstler“ nur von Elvis übertrumpft. Seinen damaligen Status beschrieb der brillante Popchronist Nik Cohn bündig mit den Worten: „Er ist unmodern. Er ist so klotzig, so spießig und gut, er macht ein paar sehr langweilige Platten. Aber ich mag ihn, denn er weiß, was er tut. Zuerst und zuletzt kann er singen, und das ist in England schon etwas.“

Während Jones einen Hit nach dem anderen ablieferte, spielte er immer auch aktuelle Beat- und Soul-Titel ein. Mit der schwarzen Musik verbindet ihn seit je eine besondere Affinität, abzulesen an LP-Titeln wie „The Body and Soul of Tom Jones“. Viele Motown- und Stax-Klassiker hat er aufgenommen, Titel von James Brown, Stevie Wonder, Smokey Robinson, Wilson Pickett. „Hold On, I'm Coming“ interpretierte er in einer Weise, daß man das augenblickliche Einschreiten der Jugendschutzbehörden fürchten mußte. Seinen ersten großen Hit „It's Not Unusual“ sang er live als Medley mit „Land of 1.000 Dances“.

Daß drüben auf der britischen Insel der vermutlich beste Soul- Sänger weißer Hautfarbe rumorte, sprach sich bis nach Detroit herum. Berry Gordy, Gründer und Inhaber der schwarzen Plattenfirma Motown, ließ 1966 nichts unversucht, Jones unter Vertrag zu nehmen. Der war mehr als interessiert, aber bis 1970 an Decca gebunden. Müßig, darüber zu spekulieren, wie Jones' Karriere weiter verlaufen wäre, hätte der Transfer geklappt. So reifte der Bühnenberserker zum Entertainer, moderierte eine eigene TV-Show und trat regelmäßig in Las Vegas auf, wo er Rekordgagen einstrich und sogar den samt Entourage eigens angereisten Elvis Presley von den Sitzen riß. Single-Hits wurden seltener, seine Langspielplatten aber machten immer noch Kasse.

Künstlerisch und kommerziell unergiebig war der Versuch seiner Plattenfirma, Jones als Country- Interpreten zu etablieren. 1987 hatte die schwarze Musik ihn wieder – The Art of Noise und der Produzent Trevor Horn baten ihn als Gastsänger ins Studio, um eine Dampframmenversion des Prince- Hits „Kiss“ aufzunehmen, die ihn schlagartig ins Bewußtsein der nachgewachsenen Generationen rückte und seinem 89er Album „At This Moment“ einige Aufmerksamkeit einbrachte. Daß Jones sich auch weiterhin nicht festlegen lassen wollte, belegte das nachfolgende Album „Carrying A Torch“, für das er sich mit Van Morrison zusammentat, ein Weggefährte aus alten Tagen und als Vertreter des „Celtic Soul“ auch ein Bruder im Geiste.

Erst die im vergangenen Jahr erschienene CD „The Lead and How to Swing it“ aber riß hartnäckigste Ignoranten aus dem Schlaf – beim Eröffnungstitel „If I Only Knew“ kann man einen Mann mal so richtig schreien hören.

Punk, Noise, Grunge sind von uns gegangen. Der Bergarbeitersproß mit der schwarzen Seele aber ist immer noch da und gilt dem US-Rolling Stone, dem britischen „New Musical Express“ und mit der üblichen Verzögerung, selbst dem deutschen Spiegel als „hip“. Jones, zur Selbstironie fähig wie kaum ein anderer Entertainer seiner Klasse, wird diese Entwicklung mit breitem Grinsen zur Kenntnis genommen haben — und seinem Publikum nach Waliser Art ein herzliches „gwyn eich byd a dymunaf i chwi lawenydd bob amser“ entgegenbringen.

Tourneedaten: Bremen, Stadthalle 13.5; Düsseldorf, Philipshalle 14.5.; Hannover, Kuppelsaal 15.5.; Frankfurt, Festhalle 17.5.; Stuttgart, Liederhalle 18.5.; München, Philharmonie 20.5.; Bielefeld, Seidensticker-Halle 21.5.; Berlin, ICC 22.5.; Hamburg, CCH 23.5.

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