piwik no script img

Zwischen Siegfriedlinie und Atlantikwall

Klaus Theweleit sprach auf zwei Veranstaltungen über deutsche Amnesie und psychische Dispositionen  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Seit seinen „Männerphantasien“ ist Klaus Theweleit einer der wenigen intellektuellen Stars der westdeutschen Linken. Aufs schönste collagiert der Freiburger Pop, Philosophie, Politik und Literatur, vehement opponiert er gegen die Trennung von Körper und Denken und kämpft wie kein andrer gegen deutsche Körperpanzer. Für Katharina Rutschky ist der feministische, antifaschistische Autor, der die „Kinks“ liebt und „Jimi Hendrix“ und ab und an auch mal Gedichte in freien Versen in die Welt schickt, der letzte Hippie; für Thomas ist er eher „Rock 'n' Roller“. Uli hat die „Männerphantasien“ gleich neben den Kondomen auf dem Nachttisch liegen.

Am Donnerstag um 18 Uhr las Theweleit im Podewil also aus seinem jüngst bei dtv erschienenen Buch „Das Land, das Ausland heißt“, ab 20 Uhr wollte er in der „Akademie der Künste“ dann „durch deutsche Aktenkeller“ wandern. Im „Podewil“ stand Klaus Theweleit am Eingang und begrüßte das Publikum mit freundlichem „Hallo“. Irgendwie ist der Freiburger ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Er trägt – nie hätte ich das gedacht – schwarze Socken mit Playboyhäschen.

Nervös und heiser, mit einem ausgeprägten norddeutschen Akzent sprach er über Marcel Ophuls Barbie-Film „Hotel Terminus“ und Claude Lanzmanns „Shoah“, von der Weigerung oder der Unfähigkeit „der Deutschen“, sich an ihr Morden zu erinnern. Während die Juden, die den Holocaust überlebten, die Polen, die ihn zuließen, bereit waren, über die Judenvernichtung zu sprechen, trafen Ophuls und Lanzmann bei den Deutschen, die ihn organisierten, auf eine Mauer des Schweigens. Mit einem „interessant“ hatten sich die Täter sogar noch Details ihrer Taten notiert. Die von Lanzmann interviewten Polen hätten dagegen über die Judenvernichtung sprechen können, da ihnen das schlechte Gewissen abgehe. Zum einen seien sie ja keine Täter gewesen, zum anderen hätten sie den Massenmord mehr oder weniger bewußt als Strafe an den „Christusmördern“ begrüßt.

Die Detailanalysen, die Theweleit lieferte, waren überzeugend. Problematisch wurde es da, wo er nicht mehr nur den aktiv oder passiv beteiligten deutschen Tätern vorwarf, sich der „Erinnerungsarbeit“ zu verweigern, sondern einen homogenen „deutschen Sozial- und Geschichtskörper“ konstruierte, der – ob 1950 oder 1980 oder 1990 – sich der „Arbeitsverweigerung vor der Geschichte“ schuldig mache; wo er von „dem Wahnsinnspegel der Deutschen“ sprach, diesen „versierten Zombies“, die wirkten, als habe man ihnen bei der Geburt das Gedächtnis herausoperiert; wo er so tat, als habe es – gerade seit 1968 – keinerlei Versuche gegeben, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Immer war, gut protestantisch, von „Erinnerungs-, Trauer-, Traum- und Liebesarbeit“ und eben von der „Arbeitsverweigerung vor der Geschichte“ die Rede.

Im Foyer der vollbesetzten „Akademie der Künste“ sprach Theweleit dann vor allem über die psychischen Dispositionen der Nachkriegszeit in der BRD und der DDR, über die Mauer, die als Pendant von Siegfriedlinie und Atlantikwall von beiden Seiten als Grenze zwischen dem Guten und dem Bösen gewünscht worden sei; über den „rewin“ der Westdeutschen, denen es nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen sei, das Geschehene und alles, was den soldatischen Körper bedrohe, abzuspalten – Sex weg, Juden weg, Kommunisten weg und die Bösen drüben; über die Mauer als „Giftcontainer“ und den Mauerfall als deutschen „rewin“ des Zweiten Weltkriegs, der das Verdrängte wieder sichtbar werden lasse – Antisemitismus, Rassismus –, und darüber, daß die Zahl der Wienerwald- Hähnchen, die die Westdeutschen fraßen, vermutlich der Zahl der Toten des Zweiten Weltkriegs entsprach. Irgendwann sagte Theweleit, daß er sich mit R. D. Brinkmann eine Atombombe auf Deutschland gewünscht habe; irgendwann heulte ein Baby im Hintergrund. Später erzählte eine Single-Kreuzbergerin von ihrem Kinderwunsch. Ein „Schoko“ solle es sein, denn die sähen schicker aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen