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Viel zu kalt und zuviel Sand

Mit seinem „wirtschaftlich wichtigsten Standbein“ Rothenbaum hat der Deutsche Tennis Bund bei den Vorzeigespielern Imageprobleme  ■ Aus Hamburg Max Schulz

Von Schwierigkeiten mit dem Image möchte Günter Sanders nichts hören. Statt dessen fabuliert der Turnierdirektor der German Open am Hamburger Rothenbaum lieber vom „ungebrochenen Aufwärtstrend im Herren-Tennis“ und kommenden „rosigen Zeiten“, die auf seinen Arbeitgeber, den Deutschen Tennis Bund, und dessen „wirtschaftlich wichtigstes Standbein“ zukommen. Betrachtet man nur die Zahlen, ist das sonnige Gemüt des graumelierten Funktionärs erklärbar. Acht der zehn Bestplazierten der Weltrangliste traten beim Hamburger Männerturnier an, und der Zuschauerrekord vom Vorjahr wurde nur knapp verpaßt.

Doch als Andrei Medwedew am Sonntag nachmittag den ausgesprochen häßlichen Siegerpokal des sponsernden Elektromultis nebst einem Scheck über 254.000 Dollar in die Hand gedrückt bekam, rumorte es längst hinter den Kulissen. Die 10.500 Zuschauenden waren schlichtweg enttäuscht über das schlechte, an Arbeitsverweigerung grenzende Spiel von Medwedews Finalgegner Goran Ivanisevic, der nach nur einer Stunde und 18 Minuten 6 : 3, 6 : 2 und 6 : 1 unterlegen war. „Ich dachte, wir beeilen uns, damit die Zuschauer nicht so lange frieren müssen“, scherzte der kroatische Weltranglistenfünfte nach dem Spiel. Doch dem Wetter allein mochte Ivanisevic nicht die Schuld an dem „schlechtesten Spiel meines Lebens“ geben.

Das Mosern über das bekannt wechselhafte Wetter in Hamburg Anfang Mai überließ er anderen. Etwa dem in der zweiten Runde ausgeschiedenen Boris Becker, nach dessen Gusto es ungefähr zehn Grad zu kalt war und dem zudem viel zu viel Sand auf dem Centre Court herumlag, so daß dieses Turnier unmöglich als Vorbereitung für das Grand-Slam-Turnier von Paris dienen könne. Dem im Halbfinale ausgeschiedenen Pete Sampras waren ganz einfach die Bälle zu schwer, während Michael Stich, der im Viertelfinale ausschied, über die mangelnde Unterstützung des Publikums lamentierte und aus Trotz ob dieser Fiesheit in seiner Heimatstadt erst mit mehrstündiger Verspätung auf der Pressekonferenz erschien.

„Du bist das Geld nicht wert, das ich für meine Eintrittskarte bezahlt habe“, mußte sich der mit einem Antrittsgeld von etwa 500.000 Dollar nach Hamburg gelockte Andre Agassi nach seiner Viertelfinalniederlage von einem Zuschauer anhören. „Willst du dir jetzt ein Messer besorgen und mich jagen, du Arschloch“, konterte der Weltranglistenerste und brachte so auf den Punkt, was Hamburg immer noch für die Profi-Tennisszene ist: Der Ort, an dem das Messerattentat auf Monica Seles begangen wurde.

Nun soll sich Agassi wegen dieser geschäftsschädigenden Äußerung vor der Spielervereinigung ATP verantworten. Schließlich gehören die German Open zu den sogenannten „Top Neun“-Turnieren, knapp unterhalb der Grand Slams angesiedelt, und die Spieler sind verpflichtet, an mindestens acht solcher Veranstaltungen teilzunehmen.

Auch der sponsernde Elektromulti nervt derzeit die Großkopferten des Tennisbundes. Eine Verlängerung des bis 1996 laufenden Vertrages (etwa fünf Millionen Mark) gibt es nur, wenn das Gelände am Hamburger Rothenbaum endlich ausgebaut, sprich: der Centre Court überdacht wird und Glasfaserkabel verlegt werden, damit der Multimedia-versessene Elektroartikelhersteller sich noch besser inszenieren kann. Doch für den Dachbau fehlt neben der Baugenehmigung noch die Zustimmung der DTB-Landesverbände, die die Millionen aus dem Davis-Cup lieber andernorts investieren würden.

Also müssen auch 1996 die Spieler wieder frieren oder aber sich wie der Sieger Andrei Medwedew an die hanseatischen Volksweisheiten halten: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Bekleidung.“ Das Halbfinale hatte der Ukrainer in langen Hosen und Pullunder gewonnen.

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