■ Zum Rumänienbesuch des Bundespräsidenten Herzog
: Vertagung aller Fragen

Die Fortschritte Rumäniens bei der Annäherung an Westeuropa hat der Bundespräsident anläßlich seines Staatsbesuchs in Bukarest gewürdigt. Auch meinte er, daß Marktwirtschaft ohne soziale Absicherung nicht gut möglich sei. Das aber sagte bislang auch die rumänische Regierungskoalition aus Exkommunisten, heute natürlich Sozialdemokraten, und Nationalextremisten. Sie gewann damit schon zweimal die freien Wahlen. Ein postkommunistischer Landesvater, Ion Iliescu, präsidiert das Land mit einem Instantlächeln für alle, eine Regierung der alten Apparatschiks verwaltet das ökonomische Desaster und das politische Chaos. Die Opposition ist zerstritten und kaum in der Lage, ihr Anliegen überzeugend vorzutragen. Es werden immer noch neue Parteien gegründet, und die alten vermehren sich durch Spaltung. Ein Volkssport auf Dauer.

Die Reformen sind halbherzig und haben wenig gebracht. Die Bevölkerung lebt mehr von ihrer Phantasie. Von der großen Privatisierung wird viel geredet, aber sie läßt auf sich warten. Die Macht gebärdet sich bis heute als eine Art Syndikat der Exnomenklatura. Man behält soviel Staat wie möglich, und wenn es gar nicht mehr weitergeht, privatisiert man ein bißchen. Wo es geht, in die eigene Tasche. Alle wollen sich bereichern, meint der Mann von der Straße. Ihn suchen die Herrschenden mit eher metaphysischen Ängsten zu beschäftigen. Mit der ungarischen Minderheit und ihren Forderungen nach Autonomie, die von der gesamten rumänischen Öffentlichkeit als Separatismus verteufelt wird. Ist dieses Thema ausgereizt, bleibt immer noch die sogenannte Kriminalität der Roma, die man gerne nur noch als Zigeuner bezeichnet wissen möchte, um, wie die Regierungsnationalisten meinen, eine Verwechslung mit den Rumänen zu vermeiden. Wenn das keine Annäherung an Westeuropa ist!

Trotzdem hat sich Rumänien mit all seinem politischen Lavieren eine gewisse Stabilität erhalten können. Weder ist das Moldawien-Problem militärisch eskaliert, noch haben sich in der Auseinandersetzung mit der ungarischen Minderheit die Gewaltphänomene durchsetzen können. Der Preis von all dem ist aber die Vertagung aller Fragen. Und das kostet nicht zuletzt Geld. Dieses Geld aber muß aus dem Westen kommen. Herzog hat es bestimmt nicht. Richard Wagner

Schriftsteller, lebt und arbeitet in Berlin