■ Japan: Vom Bösewicht zur verfolgten Unschuld: Rollenwechsel im Welthandel
Wenn die USA ab Ende Juni wirklich 100 Prozent Zölle auf japanische Luxusautos erheben, wäre das der bislang gröbste Verstoß gegen die grundlegenden Regeln des freien Handels, die sich der Welt größte Handelsmacht leistete.
Präsident Bill Clinton hatte bei den Gatt-Verhandlungen als Vorkämpfer für den freien Welthandel posiert. Deutlicher als mit dieser Strafaktion hätte er aber jetzt seine Mißachtung der Welthandelsorganisation WTO, die eben erst ihre Arbeit aufgenommen hat, nicht ausdrücken können. Niemand zweifelt daran, daß Japan vor einem WTO-Schiedsgericht Recht bekommen würde. Aber das scheint Clinton, den im Hinblick auf den nächsten Präsidentschaftswahlkampf bloß noch die Innenpolitik interessiert, egal zu sein. Wenn der freie Welthandel amerikanische Arbeitsplätze kostet – Pech für den Welthandel.
Die Sanktionen sind gut gewählt: Nur Luxusautos sind von der Preisverdoppelung betroffen, nicht die populären japanischen Kleinwagen. Arbeitsplätze stehen nur bei den Verkäufern jener Luxuswagen auf dem Spiel. Dort arbeiten etwa 6.000 Menschen, bei den US-Autoherstellern, die von den Sanktionen profitieren, sind es dagegen 700.000. Die japanischen Autohersteller werden aber durch diese punktuellen Sanktionen hart getroffen, denn für sie sind die Luxuskarossen die lukrativste Sparte. Obwohl die japanische Autoindustrie aufheult, könnte Japan insgesamt durch die US-Sanktionen durchaus Vorteile haben. Denn bislang stand immer die „Japan Corporation“ am internationalen Pranger, da sie den freien Handel verletze. Jetzt wehrt sich die Regierung in Tokio gegen die US-Maßnahmen, indem sie sich just auf den freien Welthandel beruft.
Sicher, die japanische Wirtschaft ist im Vergleich mit den meisten westlichen Ländern außerordentlich stark reglementiert. Die US-Regierung schlägt derzeit allerdings derart über die außenwirtschaftlichen Stränge, daß selbst Kritiker Japans nun Sympathie für dessen Lage äußern. Die japanische Regierung wird sich wohl diesmal dem amerikanischen Erpressungsversuch nicht beugen. Sie fürchtet, daß solche Methoden dann einreißen und daß statt Welthandelsregeln nur noch das Recht des Stärkeren gilt.
Der bisherige ökonomische Bösewicht spielt erfolgreich die verfolgte Unschuld. Dieser Rollentausch könnte eine neue Epoche in den Welthandelsbeziehungen einläuten. Denn wenn die Regierung in Tokio erst einmal anfängt, sich auf die Regeln des freien Welthandels zu berufen, um sich gegen die Zumutungen aus dem Weißen Haus zu wehren, dann kann sie auf der internationalen Bühne nicht so leicht wieder heraus aus dieser Rolle.
Nicola Liebert
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