: Bonjour Tristesse
Schwermut zum Mitschreiben, von Männern in dunklen Anzügen tief aus Gefühlskavernen geschöpft: Die Tindersticks kommen auf Tour ■ Von Gerrit Bartels
Unschön ist es eigentlich, wenn eine Band über ihr Outfit ein Image übergestülpt bekommt, während die Musik gnädigerweise noch eine Nebenrolle spielen darf. Doch im Staate Pop ist das eine ohne das andere undenkbar. An der Kleidung sollt ihr sie erkennen!
Meist zweireihige, in der Regel schwarze, mal schlampig, mal elegant am Körper anliegende Anzüge sind ein Markenzeichen der britischen Tindersticks. Gleich bei ihrem erstmaligen Auftauchen auf der Popbühne paßte die Musik wie die Blume zum Knopfloch: dekadent, dandyesk, erhaben, erlesen – die Stichwörter kamen wie auf Abruf. „Gehen die wirklich scheißen, wenn sie auf Toilette gehen?“ fragte Spex damals interessiert.
Ohne große Umstände wurde die Band in die Ahnenreihe der besser gekleideten Musiker und Popstilisten – von Bryan Ferry über Nick Cave bis zu Greg Dulli – eingeordnet, manchmal gar noch weiter zurück zu den (allerdings ungleich glamouröseren) Entertainern alter Schule wie Frankie Boy Sinatra und Lee Hazelwood gesteckt.
Und das mit 21 Songs überladene Debüt der Tindersticks war ja auch wirklich die Erfüllung aller Wünsche für Leute, die Popmusik bevorzugt als Soundtapete für sämiges, ereignisloses Wohlgefühl hernehmen: Musik in extrem kühlem Aggregatzustand, Synthetik- Blues, der bye-bye Authenzität und bye-bye schwitziger Rock 'n' Roll sagte (auch wenn manches davon durch die Hintertür wieder hereinkam); lauter Songs mit durch die Steckdose gejagten klassischen Instrumenten, bei denen die Gitarre als überflüssiger, selten entzündeter Appendix folgsam hintanstand.
So klar auf eine Klientel zugeschnitten sehen sich die Tindersticks aber gar nicht. Stuart Staples, Sänger mit einem schimmeligen Maul voll Stimme, von Statur und Gebaren her eher etwas ungehobelter Klotz als brillanter Gefühlszauberer, entscheidet sich damals wie heute für das Zulassen aller möglichen Interpretationen die Tindersticks-Musik betreffend. Daß ihn Pubertätsproblematiken und Teenagerfrust nicht mehr interessieren, dürfte für einen Dreißigjährigen mehr als o.k. gehen. Daß ihn die ersten Roxy-Music- Platten in den Siebzigern mehr begeisterten als der nachfolgende Punk- und New-Wave-Kram, daraus machte er natürlich auch keinen Hehl.
Mit ihrem zweiten Album haben die Tindersticks wieder voll aus den Gefühlskavernen geschöpft, und was beim Debüt an Stimmungslagen noch in straffer Schwebe gehalten wurde, schlägt auf dem simpel „Tindersticks – The second“ genannten Nachfolger nun volles Rohr durch: Bonjour Tristesse, raunt es, endlich ist die dunkle Romantik zur Formvollendung gebracht, Schwermut zum Mitschreiben: es „blutet das Herz“ (Rolling Stone), „hebt das große Schniefen an“ (Spiegel) oder, wie der englische NME schreibt: „They are purveyors of fantastic romantic, matt finish, emotional gloom.“
Nur: Staples differenziert genau zwischen seinen eigenen Stimmungen und denen, die er mit seiner Stimme und der Musik auslöst; er hält seine Lieder schon für recht traurig, weiß sie aber genauso gut aufgehoben unter den Rubriken schwarzer Humor und augenzwinkernde Ironie – wie er sich selbst überhaupt sauwohl fühlt auf dieser Welt.
Wer allzu tief schürft, geht deshalb leicht leer aus: Die schwimmen schön an der Oberfläche, die Songs, passen gleich beim ersten Hören wie angegossen und hallen nicht nach – was wirklich auch seine Vorzüge hat. Nur so läßt sich die Überdosis Kitsch verdauen, sogar genießen. Das Nicht-Scheren um Erwartungshaltungen, das Crossovern und Wildern in anderer Leute ernstgemeinten Folkplatten – all das stimmt einen versöhnlich, und wenn sie bald mal mit den Crash Test Dummies auf Tour gehen sollten, dann werden wir sie so richtig feste knuddeln.
Tindersticks auf Tour in Germany: 19. Mai: Köln/Wartesaal; 21. Mai: Hamburg/Markthalle; 22. Mai: Berlin/Metropol; 25. Mai: Frankfurt/Batschkapp; 26. Mai: München/Muffathalle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen