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Deutsche „Lubjanka“ im Stasi-Ghetto

Ehemalige Untersuchungshaftanstalt des NKWD und des MfS Berlin-Hohenschönhausen soll zentrale „Gedenkstätte für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft“ werden  ■ Aus Berlin Anita Kugler

In den Stadtplänen von Ost- Berlin war der nördliche Teil der Genslerstraße bis 1990 ein großer, weißer Fleck. Die Hausnummern 60 bis 66 gab es nicht, statt dessen Mauern, Wachtürme, Hundelaufgitter, Straßensperren. Seit drei Jahren steht das gespenstische Gelände unter Denkmalschutz. Jetzt stehen die Aussichten nicht schlecht, daß diese düstere Adresse zu einer Gedenkstätte für die Opfer politischer Verfolgung von 1945 bis 1989 wird, vielleicht sogar zu dem zentralen Ort, der an den Terror der sowjetischen Geheimpolizei (NKWD) und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) erinnert.

Das Papier, das Hoffnung weckt, heißt „Abschlußbericht über die Konzeption für die Errichtung einer Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Haftanstalt Hohenschönhausen“. Erstellt hat es eine Expertenkommission unter der Leitung des FU- Professors Manfred Wilke im Auftrag der Kulturverwaltung.

Ein Folterort mit weitreichender Tradition

Vor einigen Tagen initiierte sie eine Anhörung mit Vertretern von Opferverbänden. Die Diskussionsergebnisse hätten für sein Haus „bindenden Charakter“, betonte der parteilose Kultursenator Ulrich Roloff-Momin. Zur Debatte stand vor allem die Frage, „kleine“ oder „große Lösung“, das heißt, regionale Gedenkstätte auf einem Teil des ehemaligen NKWD- und MfS-Geländes oder zentrale und einzige deutsche Gedenkstätte auf dem gesamten Gelände, exemplarisch für alles stalinistische und sozialistische Justizunrecht von 1945 bis 1989. Diesen Vorschlag machte die Bundestags- Enquetekommission in ihrem Abschlußbericht über die „Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ schon vor zwei Jahren.

Es gibt in ganz Ostdeutschland keinen anderen Ort, in dem die sowjetische Variante der Entnazifizierung sowie die politische Repression in den DDR-Jahren so dicht anschaulich zu machen sind, wie in diesem Ex-NKWD- und Ex- MfS-Gefängnis. Hier fand alles statt.

Von Mai 1945 bis Ende 1946 war es ein sowjetisches Internierungslager der Militäradministration (SMAD) und bis 1950 das zentrale Untersuchungsgefängnis des NKWD für politische Häftlinge. Eingeliefert wurden alle in Berlin festgenommen Deutschen, von denen das SMAD annahm, daß sie Nazis oder „Werwölfe“ waren, oder zumindest antisowjetische „Hetzer“. Von Hohenschönhausen aus gingen die Transporte in die umliegenden Speziallager. Inhaftiert waren aber nicht nur Deutsche, sondern auch ZwangsarbeiterInnen aus allen Ländern Osteuropas. Man verdächtigte sie pauschal der Kollaboration mit den Nazis, behandelte sie genauso schlecht wie die Angehörigen der russischen „Wlassow-Armee“, die von Hohenschönhausen aus in die Gulags geschickt wurden.

Nach russischen Quellen durchliefen das Speziallager und das NKWD-Gefängnis, deutsche „Lubjanka“ genannt, mehr als 122.000 Menschen. Einer war Karl Heinrich, Sozialdemokrat und erster Kommandant der Berliner Schutzpolizei. Die Haftbedingungen waren grausam, wahrscheinlich starben über 3.000 Menschen an Hunger, Schlägen und viele Frauen an den Folgen von Vergewaltigungen. Wie viele der Inhaftierten unschuldig, wie viele von ihnen keine Nazis, sondern politische Gegner des Stalinismus waren, ist mangels Quellen ungeklärt.

An die besonders grausame NKWD-Epoche erinnern in dem Gefängniskomplex noch heute die schall- und lichtisolierten Gummizellen im Keller und vor allem das „U-Boot“ mit seinen vier Folterzellen. Die Marterinstrumente, so ein Holzgestell, in dem die Häftlinge eingebunden wurden, damit sie das im Sekundentakt herabtropfende Wasser ertragen konnten, sehen aus wie von Edgar Allen Poe erdacht. Wer dort gequält wurde, gestand alles und jedes.

Im Jahre 1950 übergaben die sowjetischen Behörden die Anstalt an das Innenministerium der jungen DDR, diese wiederum übergab es dem MfS als zentrale Untersuchungsanstalt. Die Stasi betrieb den riesigen und sogar unter ihrer Regie noch erweiterten Komplex bis Ende 1989. Bis in die sechziger Jahre hinein, benutzten sie die NKWD-Gummi- und U-Boot- Zellen als Isolationsräume für „renitente“ Häftlinge, bevorzugt für Gegner ihres Systems. Und sie erfand die berühmten „Tigerkäfige“ für den Freigang, mauerumwehrte und drahtüberspannte Käfige für das Frischluftgesundheitsprogramm. Weil das MfS in seinen letzten DDR-Wochen Spurenvernichtung im großen Stil betrieb, weiß heute niemand, wie viele Menschen dort eingesperrt waren. Mit Sicherheit waren es Zehntausende, darunter Prominente der ehemaligen DDR-Friedens- und Bürgerrechtsbewegung. Es ist nur eine ganz kleine späte Gerechtigkeit, daß Stasi-Chef Erich Mielke, bevor er nach West-Berlin verlegt wurde, auch einige Monate in Hohenschönhausen sitzen mußte.

Insgesamt waren sich bei der Anhörung Bürgerrechtler, Opferverbände und Expertenkommission darin einig, daß die Haftanstalt Hohenschönhausen wegen seines exemplarischen Charakters für sowjetisches und ostdeutsches Justizunrecht eine Gedenkstätte mit überregionaler Bedeutung werden muß. Dafür ist auch der Berliner Kultursenator, der sich mit Bonner Geldern eine Entlastung seines Haushaltstopfes verspricht. Allerdings ist die Gefahr groß, daß mit dem Spekulieren auf eine nationale Gedenkstätte und einer entsprechenden Stiftung, die sofort notwendige Rekonstruktion des NKWD- und MfS-Gefängnisses bis zum Sankt-Nimmerleinstag verschleppt wird. Zumal die allerwichtigsten Voraussetzungen für eine Gedenkstätte immer nicht geklärt sind.

Klärung wird erst in einigen Jahren kommen

So liegen sieben verschiedene Restitutionsanträge vor, und es kann noch Jahre dauern, bis die Besitzverhältnisse geklärt sind. Noch viel ungewisser ist die Frage, was es kosten wird und wer zahlt. Wenn es die Berliner trifft, ist abzusehen, daß nur ein Gefängnistrakt und die Folterzellen für museale Zwecke genutzt werden. Der große Rest könnte anderen Nutzer übergeben werden.

Auch konzeptionell ist noch vieles unklar. Mit den Opferverbänden muß noch verabredet werden, daß es eine Vermischung von NS- Tätern – die ohne Zweifel auch in Hohenschönhausen saßen – mit den politischen Gegnern der Stalinisierung nicht geben kann. Auf den Punkt brachte dies Karl-Heinz Reuter, der im Alter von 15 Jahren als vermeintlicher „Werwolf“ von NKWD-Offizieren gezwungen wurde, an den U-Boot-Zellen mitzubauen. Er sagte: „Die These, Hauptsache einer war im Lager und schon ist er ein Opfer von Stalin, ist falsch.“ Dafür bekam Reuter viel Beifall, aber in den Opferverbänden ist deshalb noch lange nicht Konsens, daß roter und brauner Terror nicht zwei Seiten einer Medaille sind. Praktisch wird die Differenzierung von NS-Blockwarten und Gegnern des Kommunismus wegen fehlender Quellen enorme Schwierigkeiten machen und Jahrzehnte dauern. Bisher fehlte sogar Geld, um Zeitzeugen im großen Stil zu befragen.

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