: Schon wieder eine kleine „neue Linkswende“ bei den Jusos
■ Kampagne-Linke und Reformsozialisten wollen aufeinander zugehen / Ist die Wahl des Vorsitzenden ungültig?
Gera (taz) – Jusos sind sportinteressiert. Bevor die Ergebnisse des ersten Wahlgangs bekanntgegeben wurden, wurden die Plazierungen des Fußballwochenendes verkündet. In der zuvor über Stunden ausgetragenen heftigen Debatte um den neuen Bundesvorsitzenden hielten sich die Delegierten mit allerlei Bildern aus der Fußball- und Tenniswelt bei Laune. Vielleicht weil sich bei den Jusos nur Männer um Posten bewerben?
Je länger der Streit um Vorzüge des einen und Mängel aller anderen Bewerber, desto eifriger wurde zum Volltreffer ins gegnerische Tor ausgeholt. Manch theatralischer Weitschuß trudelte ins Aus, etwa als Juso-Chef Thomas Westphal seinem Kontrahenten Stefan Grüger eine Belehrung verabreichte, die selbst notorischen Fußball-Abstinenzlern verdächtig erscheinen mußte: „Beim Fußball gewinnt immer, wer konsequent von links angreift.“
Die „konsequenten“, realitätsfernen Angriffskampagnen ihres Chefs haben die Jusos in den vergangenen zwei Jahren nach Meinung vieler Delegierter „an den Rand der Bedeutungslosigkeit“ manövriert. Auf dem Bundeskongreß im schwarz-rot regierten Thüringen hat sich der „linke Richtungsverband“ mit knapper Mehrheit erneut für Westphal entschieden, aber auch für das Arbeitsprogramm, mit dem Herausforderer Grüger für die „Reformsozialisten“ angetreten war. Westphal, der sich geradewegs auf Führungspositionen in der hart gescholtenen SPD begeben und deshalb mit den Jusos „großangelegte Manöver zur Veränderung der Partei“ unternehmen will, siegte im zweiten Wahlgang mit nur einer Stimme Vorsprung vor Grüger, der eine „neue Linkswende der Jusos“ versprochen hatte und für „Projektarbeit statt Kampagnenorientierung“ geworben hatte.
Zwei weitere Bewerber um den Führungsposten fielen weit ab, der bayerische Landesvorsitzende Thomas Huber, der von links „um die SPD kämpfen“ wollte, und Frank Moritz aus Hessen, der glaubte, „ich bin der einzige, der etwas anders machen will“. Es mangelte dem Erneuerungskongreß nicht an hehren Worten und starken Männern. Das Dilemma der mit sich selbst befaßten Linken beschrieb eine Delegierte aus Bayern: „Wenn eine 16jährige Azubi heute abend in der ,Tagesschau‘ sieht, was hier läuft, wird sie wohl kaum Lust bekommen, bei den Jusos mitzumachen.“
So hat der Kongreß zunächst das Bild eines zerstrittenen linken Jugendverbandes bestätigt. Nach der von wahlorganisatorischen Turbulenzen geprägten, knappen Wiederwahl Westphals und der satten Mehrheit für das von Grüger eingebrachte Arbeitsprogramm erwartet Juso-Sprecher Sven Griemert ein „deutliches Aufeinanderzugehen“ von Kampagne-Linken und Reformsozialisten; einen „Neuanfang“, den Westphal, der mit Grüger als neuem Stellvertreter zurechtkommen muß, bestätigt hat. Fraglich ist jedoch, ob die Wahl angefochten wird, denn es gibt Streit um die Gültigkeit von vier Stimmzetteln. Zehn Landesverbände, ein Viertel der Delegierten, hatten den Kongreß aus Protest gegen angebliche „Unregelmäßigkeiten“ bei der Wahl des Vorsitzenden vorzeitig verlassen. Weil einige Delegierte ihre Stimmkarten verbummelt hatten, war die Mandatskommission auf eine Notkonstruktion ausgewichen, die prompt nicht funktionierte. Detlef Krell
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