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Reanimation oder vorzeitiger Tod?

■ Nur eine Reform an Haupt und Gliedern kann, so A. Zumach, die UNO retten

Die UNO hat ihren 50. Jahrestag schlecht plaziert. Dem „Hoch“ der späten 80er Jahre folgt in der öffentlichen Meinung jetzt der Umschlag in die Depression. Entsprechend fallen die Glückwünsche aus. Vor solch jähem Wechsel der Gemütszustände ist Andreas Zumach, für die taz (und andere, weniger wichtige Medien wie die ARD) in Genf tätig, gänzlich gefeit. Nicht erst seit gestern beobachtet, analysiert, kritisiert er Arbeitsweise und Struktur der UNO- Organe. Er ist Insider ohne die Berufskrankheit dieser Spezies, den Zynismus.

Rowohlt war gut beraten, sich für sein „Special“ über die Vereinten Nationen der Dienste Zumachs zu versichern. Herausgekommen ist eine konzise Darstellung, die uns sicher durch die Organisationslabyrinthe des Klotzes am East-River führt, die genau informiert, ohne uns mit Fakten zu überhäufen, und die uns jene Art von Idealismus erspart, die die schlechte Wirklichkeit im Namen des hehren Ideals ignoriert.

Obwohl alles andere als ein Erweckungsprediger, malt Andreas Zumach doch das drohende nahe Ende der UNO an die Wand. Der gegenwärtige organisatorische und finanzielle Zustand der Weltorganisation erlaubt keine wirksame Intervention an der entscheidenden Konfliktlinie, der zwischen Nord und Süd, zwischen armer und reicher Welt. Es ist der „Norden“ unter der Führung der USA, der den Sicherheitsrat dominiert, der über Weltbank, IWF und die Welthandelsorganisatiion WTO die Weltökonomie zum eigenen Nutzen lenkt. Im Gegensatz zur Diskussion in Deutschland, die fast ausschließlich vom Pro und Kontra militärischer UNO-Aktionen beherrscht wird, beharrt Zumach auf der Priorität des Themas globale Unterentwicklung. Wo er Lösungen und Projekte vorschlägt bzw. referiert, steht er den UNO-Experten Childers und Urqhart nahe, so mit der Idee, das Chaos neben- und gegeneinander arbeitender UNO- Entwicklungssagenturen zu beenden, einen „zweiten“ Sicherheitsrat für die ökonomischen Weltprobleme ins Leben zu rufen und dafür einzutreten, daß die reichen Länder endlich die versprochenen 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts zur Verfügung stellen.

Angesichts des Desasters der UNO-Bemühungen in Ex-Jugoslawien, Somalia und zuletzt Ruanda, wo der rechtzeitige Einsatz einiger hundert UNO-Polizisten Hunderttausend Menschen das Leben gerettet hätte, ist die „Blauhelm“-Bilanz Zumachs nicht gerade überschwenglich. Man hätte sich die Analyse eines Fallbeispiels gewünscht, wo der Einsatz der Blauhelme Früchte trug und aus dem man Lehren ziehen könnte. Nicht ganz verständlich, daß Zumach Butros Ghalis in der „Agenda für den Frieden“ von 1992 lancierten Vorschlag, eine Blauhelm-Truppe unter seinem (Ghalis) Kommando aufzustellen, nicht diskutiert, wie er auch die Anstrengungen der skandinavischen Länder, speziell trainierte „Blauhelm“-Einheiten für die Aufgaben des Peace-keeping aufzustellen, unerwähnt läßt. Generell scheinen mir in der sonst vorzüglichen Analyse der UNO-Institutionen das Amt des Generalsekretärs, sein Apparat, seine Schwäche, aber auch seine Möglichkeiten etwas unterbelichtet.

Lapidar klärt Zumach uns darüber auf, daß die UNO „nicht existiert“. Dabei geht es ihm keineswegs um die Wiederbelebung des scholastischen Streits, welche reale Bedeutung Allgemeinbegriffen zukomme. Er will darauf aufmerksam machen, daß einige Großmächte, voran die USA, bestimmen, was die UNO tut, und noch mehr, was sie unterläßt. Zu Recht bringt er das Argument der doppelten Standards bei der Erzwingung von Beschlüssen des Weltsicherheitsrats ins Spiel. Die zahlreichen Vorschläge zur Demokratisierung des Sicherheitsrats referiert er mit angemessener Skepsis. Aber gleichzeitig macht er klar, daß es zu dem borniert-großmannsüchtigen Verlangen Deutschlands nach einem Sitz im Gremium eine Alternative gibt: Verzicht Frankreichs und Englands, ein (äußerstenfalls zwei) Sitze für die EU, die rotierend wahrgenommen würden, eine diplomatische Initiative der EU, auf dieser Basis zur Einigung der afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten auf je ein neues Mitglied im Sicherheitsrat beizutragen.

Bei aller Insistenz auf der Nord- Süd-Problematik vermeidet es Andreas Zumach, den „Süden“ nach tiers-mondistischer Manier als armes Opfer zu stilisieren. In der Menschenrechts- oder der Umweltfrage haben sich bereits wirkungsvolle Verhinderungs-Koalitionen aus Staaten aller vier Himmelsrichtungen etabliert. Trotz oder gerade wegen dieser Tatsache liegen hier (und nicht in dem nebulösen Projekt einer „Welt-Bürgerversammlung“) aber auch aussichtsreiche Aktionsfelder für die regierungsunabhängigen Organisationen, die NGOs, denen die Sympathie des alten Aktivisten der Friedensbewegung gehört. Christian Semler

Andreas Zumach: „Special Vereinte Nationen“. Rowohlt 1995, 12,80 DM.

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