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Am liebsten eingeschweißt

Früher waren es Briefmarken und Wellensittiche: Die Sammler von Telefonkarten treffen sich allwöchentlich zum Tausch japanischer, türkischer und bundespostalischer Exemplare  ■ Von Iris Hanika

Parkhaus, Autowaschanlage, Scheibenhochhaus, aus dem eine Architekturgeschwulst heraushängt, die als Shoppingcenter dient. Neonreklame für Bier und für die Sportkegelhalle im Untergeschoß. Eine häßliche Treppenkonstruktion führt den Besucher in eine ungenutzte neonbeleuchtete Vorhalle, dann durch einen Raum, an dessen Wänden unzählige Pokale von Kegelvereinen in Glasvitrinen stehen. Der Weg führt in eine Art Wirtschaft, in der es nicht so gut riecht, weil so ein Untergeschoß natürlich a) schlecht zu belüften ist und b) es hier zu den Kegelbahnen geht, wo ja echt Sport getrieben wird. In einem Nebenraum hocken 30 oder 40 Männer mit zwei Frauen, trinken Bier und rauchen. Ich bin angekommen, wo ich hinwollte, beim wöchentlichen Tauschtreff des „Berliner Telefonkartenclubs BTC“.

Dem Eingang gleich gegenüber sitzt Herr Joachim Blechschmied. Er hat hellbraun-rötliches, kräftiges Haar, trägt einen Schnauzbart und ein Hawaiihemd über dem gerundeten Bauch. Er ist einer der fünf Vorsitzenden des Vereins. Zu seiner Rechten sitzt Wolfgang Peter, auch ein Vorsitzender, mit dünnerem dunkelbraunem Haar und ebenfalls mit Schnauzbart, aber dezenter gekleidet, zu seiner Linken Herr Georg Leupold, gleichfalls Vorsitzender, mit rotem, dünnen Haar und Vollbart. Er ist außerordentlich blaß. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß er sich immer hier unten aufhält.

Ich setze mich Herrn Blechschmied gegenüber, ich friere etwas, denn draußen ist es heiß, hier unten aber kühl, verqualmt und eben fast nur von Männer gefüllt. Sie sitzen in dem kleinen Raum an zusammengeschobenen Tischen und reden in völliger Begeisterung über die Telefonkarten, die sie vor sich ausgebreitet haben. Ich frage Herrn Blechschmied, wie lange es den Verein schon gebe (seit Mai 91) und wie viele Mitglieder er habe (130). Die Frage, warum er gegründet wurde, wird nicht verstanden, wer ihn gegründet hat, schon, das waren nämlich nur sieben oder acht Leute, die sich kannten, weil sie sich auf Postämtern beim Telefonkartenkaufen immer wieder begegnet sind.

Ich schätze Herrn Peter auf Anfang 30. Früher hatte er keine Frau und kein Hobby, jetzt hat er beides und keine Zeit mehr. Er ist Kraftfahrer bei der Post und füllt auch Briefmarkenautomaten auf. Beamter ist er, „da ist man ja total anjeschissen. In der Ausbildung habense uns jesacht, ja, wirste Beamter, unterschreib mal hier, wäre alles gut, und jetzt? Ich krieg' immer 200 Mark weniger raus als die Angestellten.“ Herr Andreas Schmöker läuft vorbei, ebenfalls Beamter, der bestätigt, wie angeschissen man als Beamter ist, berichtet von seiner letzten Überstundenabrechnung, bei der am Ende 13,50 Mark pro Stunde herausgekommen seien. „Lachhaft!“ sagt er lachend. Herr Schmöker hat gut lachen, denn er weiß die Lösung für die Beamtenmisere: Er bereitet seine Auswanderung nach Florida vor, wo er als Polizist arbeiten könnte, weil die Polizei aufgrund der vielen an deutschen Touristen verübten Verbrechen deutsche Polizisten bräuchten. Irre, denke ich, aber das ist eine andere Geschichte.

Plötzlich fällt mir ein, daß ich ja schon immer mal wissen wollte, warum Leute eigentlich Telefonkarten sammeln. Warum sammeln Sie Telefonkarten, Herr Peter? Er erzählt, er habe sich mal eine Karte auf der Post geholt und auf der Heimfahrt im Bus – jetzt beugt sich Herr Blechschmied herüber und kündigt an, auch er werde dann erzählen, wie er zum sammeln gekommen sei –, also im Bus, da habe er gesehen, daß der Chip auf der Karte nicht ganz, sondern in zwei Hälften auseinandergerissen war, und da dachte er, die Karte wäre beschädigt, und fuhr zum Postamt zurück. „Na, und dann hat mich das zu interessieren angefangen.“ Das war vor knapp anderthalb Jahren.

Für den Laien sei hier angemerkt, daß der Chip nicht mehr Chip heißt, sondern Modul, und daß man die Module in sechs verschiedene Gruppen einteilen kann, zu denen jeweils bis zu fünf verschiedene gehören, so daß es insgesamt 17 verschiedene Arten von Modulen gibt – zum Beispiel „geteilt, 8 Felder, Außenmaß ca. 12 x 12 mm“ oder „geteilt, 6 Felder...“ oder „geschlossen, 8 Felder, Mitte achteckig, Außenmaß ca. 12 x 10,5 mm“. Da staunt der Laie, und der Fachmann weiß vermutlich Bescheid. Nun erzählt Herr Blechschmied, wie das bei ihm damals angefangen hat. Er war 1990 in der Türkei im Urlaub, und da konnte man im Hotel nur mit Karten telefonieren, und da hat er die Hotelverwaltung gebeten, die abtelefonierten Karten für ihn aufzuheben, und dann ist er mit einem ganzen Beutel voll Karten nach Berlin zurückgekommen, so 200 bis 300 wären das gewesen. Heute würden die türkischen Karten gar nicht mehr von den öffentlichen Telefonapparaten ausgespuckt, sondern einbehalten, wenn sie abtelefoniert wären, heute ginge das gar nicht mehr.

Wie viele Frauen gibt es im Verein? Das ist eine ernste Frage, also Schluß mit lustig und die Stirn in Falten gelegt, den Blick aber andächtig zum Himmel gehoben und im Geiste nachgezählt, dies durch stumme Lippenbewegungen verdeutlicht. „Jo, ach – fünf?“ Das sind aber nicht viele, Herr Blechschmied! „Nee, das sind keine zehn Prozent, nee, das sind ja nicht einmal fünf Prozent bei 130 Mitgliedern.“ Jo.

Zwei Frauen sehe ich mit ihren Ehemännern im Hintergrund, aber dann gibt es ja noch Frau Guth! Ja, Frau Guth, die sei eigentlich immer da. Frau Guth, warum sind hier so wenig Frauen? Sammeln Frauen keine Telefonkarten? Mit klarem Blick antwortet Frau Guth sofort: „Doch, die sammeln auch, aber die machen das heimlich.“ Was, heimlich? Ja, heimlich, weil doch zum einen die Männer es nicht vertragen könnten, wenn eine Frau Bescheid weiß, da würden die gleich ganz fuchsig, und zum anderen ließen die Männer den Frauen gar keine Zeit für so was, weil sie doch immer betan werden und die Füße auf den Tisch legen wollten. Aus diesen Gründen würden Frauen nur heimlich Telefonkarten sammeln. Dann erzählt sie, wie sie einmal einen Mann sachlich korrigiert hat, und wie der dann richtiggehend beleidigt war, brrr!

Mir allerdings fällt etwas anderes auf: Frau Guth sammelt nämlich ausschließlich leere Telefonkarten, die wesentlich billiger sind, pro Stück zwischen einer und drei Mark kosten statt von zwölf Mark aufwärts für postfrische Karten. Andere Sammler haben leere Karten nur zum Spaß dabei. Und sie selbst sammle am liebsten japanische Karten, weil die viel schöner seien, es eine größere Vielfalt gebe und auch die Druckqualität wesentlich besser sei. Vor sich hat sie ein Sammelalbum liegen, in dem sind seitenweise japanische Karten mit Schiffen, mit Bergen, mit Lokomotiven. Frau Guth streichelt eine bräunlich lilafarbene Karte, auf der ein Dampfer auf einem breiten Fluß durch den Nebel fährt. „Die könnte man doch stundenlang anschauen“, sagt sie. Auf Vollständigkeit ihrer Sammlung lege sie überhaupt keinen Wert, ebensowenig müssen es unbedingt Telefonkarten sein, es können auch japanische Bahnkarten oder Fernsehkarten sein. Auf diese Weise erfährt die Sammlung natürlich keinerlei Wertsteigerung.

Warum Frau Guth nicht heimlich sammeln muß, sondern es in aller Öffentlichkeit tun kann, liege daran, daß sie sich ihre Freiräume erkämpft habe. Ich glaube allerdings eher, daß Frau Guth eine dem von ihr angegebenen Emanzipationsgrad entsprechend glückliche Ehe führt. Ihr Mann nämlich hat auch ein Hobby: Er filmt Dampfeisenbahnen beim Mitfahren und führt die Filme dann auch gerne vor. „Kein Video, sondern Super 8!“ betont Frau Guth. Früher hätten sie gemeinsam fotografiert, aber jetzt hat sie ja ihre Karten.

Offenbar sind die Leute hier Sammler von Natur aus, das Briefmarkensammeln war ihnen angeboren, aber weil man für Neues offen sein muß, sind sie eben zum Telefonkartensammeln gekommen. So erkläre ich mir das. Trotzdem klingen die Berichte über die Sammleranfänge immer wie Bekenntnisse von Drogensüchtigen oder Kriminellen. Herr Peter zumindest gibt zu, daß er früher einmal spielsüchtig war. Von den anderen höre ich dergleichen Berichte nicht. Oder wäre Herrn Schmökers Wellensittichzucht hier mit dazuzuschlagen?

Frau Guth bietet mir Kekse an, Herr Peter spendiert mir eine Apfelsaftschorle, von Herrn Schmöker kriege ich eine West Light. Telefonkarten sammle ich keine. Warum die anderen es tun, weiß ich immer noch nicht – und muß nun gehen. Keglerpokale, scheußliches Treppenhaus, Parkplatz vor der Tür. Die Hitze schlägt mir ins Gesicht, der Staub weht mir in die Augen. Wer ein kühles Plätzchen für den Sommer sucht, sollte es bei der Telefonkartentauschbörse versuchen.

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