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Mit Dutschkes Parka zu den Gottlosen

■ Heute beginnt das Theatertreffen der Jugend. 239 Gruppen hatten sich beworben, 7 wurden ausgewählt — mit dabei ist aus Berlin auch die „Jugend Ohne Gott“

„Jugend Ohne Gott“, das Jugendensemble an der Volksbühne, hat sich in die Beletage hochgespielt. Wurden seine Inszenierungen bislang auf die Probebühne verdrängt, ist für die nächste Produktion bereits der Grüne Salon reserviert. Der Grund: Überraschend wurde „Jugend Ohne Gott“ mit ihrem Stück „Die Kellerfalle“ zum diesjährigen Theatertreffen der Jugend eingeladen. Da der taz ein Einblick in die Proben verwehrt wurde, schickten wir unseren jüngsten Mitarbeiter, auf daß er sich unauffällig unter die Schauspieler begäbe. Hier sein Bericht:

Wie ein gestrandeter Wal liegt die Volksbühne in der Abendsonne des Scheunenviertels. Während im großen Saal mit Flakgeschützen und Kartoffelsalat die jüngsten ideologischen Schlachten geschlagen werden, führt mich mein Auftrag zum Hinterteil des schwarzen Säugetiers, dem Personaleingang. Ausgestattet mit einem Heiligtum der taz-Redaktion, dem Original-Parka Rudi Dutschkes, schlüpfe ich am Pförtner vorbei in die sagenumwobene Kantine des Hauses, in der schon ein Schlingensief auf den Tischen getanzt haben soll. Weiter geht es durch ein Labyrinth von Gängen, deren Architekt eine Hommage an den Rinderdarm vorgeschwebt haben muß, hinauf in den 3. Stock zur Probebühne. Hier arbeiten „Jugend Ohne Gott“ derzeit an zwei Einaktern der expressionistischen Dichter Franz Werfel und Georg Britting. Im Juni werden sie im Grünen Salon als Teil des Sommerfestes „Stunde der Sterbenden“ aufgeführt.

Während ich noch die Treppen hinaufsteige, dringen die Klänge eines herzzerreißenden Walzers an mein Ohr, verebben jedoch sofort, als ich vorsichtig die Tür zur Probebühne öffne. Zwölf engumschlungene Pärchen blicken mich streng an und bedeuten mir, mich unverzüglich in den Tanz einzureihen. Unsicher betrete ich die Bühne, während mir eine bezaubernde Partnerin zugewiesen wird. Hätte die taz doch nur einen besseren Tänzer geschickt, einen alten Hasen wie Severin Weiland! Der Walzer ist ein Teil der pompösen Schlußszene von Brittings absurdem Einakter, dessen Herzstück der Tanz eines Totengräbers mit einer von ihm zu bestattenden Leiche darstellt.

„Jugend Ohne Gott“ entpuppt sich als ein sehr bunt zusammengewürfeltes Ensemble. So hat Nadine, mit fünfzehn Jahren das Nesthäkchen der Gruppe, noch einige zähe Schuljahre vor sich, bevor die Entscheidung ansteht, ob sie sich professionell der Schauspielerei widmen will. Die neunzehnjährige Tilla dagegen ist sich ihrer Sache sicher: Als inniger Fan des Grips-Theaters will sie einmal das Erbe von Volker Ludwig antreten und bewirbt sich derzeit an diversen Schauspielschulen.

Zusammengefunden hat die Gruppe 1993 auf Einladung Frank Castorfs, der zu Beginn seiner Intendanz unter dem Motto „Macht Euer Theater selbst“ die Öffnung der Volksbühne für freie Jugendgruppen verkündete. Ihr Debüt gab das junge Ensemble mit einer Bühnenfassung des berühmten Romans von Horváth, von dem die Gruppe sich schließlich auch ihren Namen entlieh. Danach folgte „Die Kellerfalle“ des DDR-Autors Albert Wendt.

Beides sind noch klassische Nachwuchs-Theaterproduktionen, in denen sich die Jugendlichen mehr oder weniger selbst spielen. Im letzten Herbst jedoch gelang ihnen ein wahrer Überraschungscoup, als sie just während der Stasi- Diskussion um Stefan Heym dessen politische „Märchen“ auf die Bühne brachten. Ein großer Sprung nach vorn stellte diese Aufführung auch in bezug auf die Qualität der Inszenierung dar. Unter der Leitung des jungen Regisseurs Matthias Kubusch gelang ihnen eine Aufführung mit sensiblem Gespür für Ironie und von einem Charme, den manch professionelles Theater bitterlich vermissen läßt. Noäl Rademacher

Im Rahmen des Theatertreffens der Jugend (bis 3.6.) zeigt „Jugend Ohne Gott“ am 30.5., 20 Uhr, „Die Kellerfalle“ von Albert Wendt in der Wabe, Dimitroffstraße 101, Mitte. Auch alle anderen Vorstellungen finden dort statt, Informationen bei den Berliner Festpielen, Telefon 24589213

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